Entschädigung, Genugtuung und Akteneinsicht bei Einstellung (Art. 100 Abs. 4 VStrR und Art. 36 VStrR)
Im Beschluss vom 17. Dezember 2024 beschäftigt sich die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts mit Fragen der Entschädigung und Akteneinsicht bei eingestelltem Verwaltungsstrafverfahren (BV.2024.11; hier abrufbar: https://bstger.weblaw.ch/pdf/20241217_BV_2024_11.pdf). Diese kamen auf, nachdem die ESTV ein Mehrwertsteuerstrafverfahren eröffnete und nach fünf Jahren einen Strafbescheid erliess, die hiergegen gerichtete Einsprache des anwatlich nicht vertretenen Betroffenen aber knapp fünf Jahre unbeachtet liess, so dass die Angelegenheit verjährte. Nach Rechtskraft forderte der Betroffene (und spätere Beschwerdeführer) Entschädigung sowie Genugtuung, welche die ESTV ablehnte. Daraufhin gelangte der Beschwerdeführer an das Bundesstrafgericht, wobei er in prozessualer Hinsicht den Beizug aller Verfahrensakten der EStV (auch jene betreffend vormalige Mitbeschuldigte).
Während eines laufenden Verfahrens ist die Akteneinsicht in Art. 36 VStrR iVm Art. 26-28 VwVG (nicht ausführlich genug) geregelt. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung besteht aber auch ein Anspruch auf Akteneinsicht ausserhalb eines hängigen Verfahrens, wenn der Rechtsuchende ein besonders schutzwürdiges Interesse (zB Akteneinsicht zur Abklärung von Prozesschancen) glaubhaft machen kann (BGE 129 I 249, E. 3, BGE 147 II 227, E. 5.4.5.2). Dieses vermag der Beschwerdeführer aus Sicht des Bundesstrafgerichts nicht darzutun, insbesondere nicht in Hinblick auf die Akten, welche die vormaligen Mitbeschuldigten betreffen (E. 3.3.):
"Der Beschwerdeführer legt auch nicht dar, weshalb er generell sämtliche Akten eines anderen Verfahrens, des eingestellten Strafverfahrens, für sein Entschädigungsverfahren benötigt. Ein unbegründeter Anspruch auf Einsicht, also ohne ein (überwiegendes) Interesse darzutun, ergibt sich vorliegend nicht aus dem anwendbaren Verfahrensrecht (VStrR/VwVG) und ebenso wenig ergäbe er sich aus der StPO."
Die von der ESTV bereits an das Bundesstrafgericht übersandten Akten wurden deswegen zurückgesendet.
Der Beschwerdeführer beantragt Entschädigungen für seine persönlichen Aufwendungen, für Schaden und Unbill. Er bringt vor, die EStV habe ihm trotz Einstellung des Verfahrens keine Entschädigung und keine Genugtuung zugesprochen, obwohl er darauf aus Art. 6 EMRK und in analoger Anwendung von Art. 429 Abs. 1 StPO einen Anspruch habe.Die EStV äussert in der Beschwerdeantwort, sie verneine nicht, dass im Grundsatz gestützt auf das VStrR eine Entschädigung oder eine Genugtuung ausgerichtet werden könne. Der Beschwerdeführer sei seiner prozessualen Obliegenheit zur Substantiierung des Entschädigungsanspruches und zur beweismässigen Untermauerung nicht nachgekommen, die sich für das Verwaltungsstrafverfahren explizit aus Art. 11 der Verordnung vom 25. November 1974 über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsstrafverfahren (SR 313.32) ergebe. Das Bundesstrafgericht dagegen stellt richtigerweise fest (E. 5.2):
"Eine Entschädigung für den persönlichen Zeitaufwand (Aktenstudium, Verfassen von Eingaben etc.) von nicht anwaltlich vertretenen Personen oder Beschuldigten ist in der StPO oder dem VStrR ebenso wenig vorgesehen wie bei anwaltlich vertretenen Personen, die trotz der anwaltlichen Verteidigung in der Regel eigene Zeit für ihre Verteidigung aufwenden müssen (Sichtung von Unterlagen, Gespräche mit Verteidiger etc.; vgl. BGE 133 III 439 E. 4 S. 446; Urteil des Bundesgerichts 1B_169/2015 vom 6. November 2015 E. 4, nicht publ. in: BGE 141 I 211). Eine Parteientschädigung kann aber zugesprochen werden, wenn «besondere Verhältnisse» dies rechtfertigen. Solche liegen vor, wenn es sich a) um eine komplizierte Sache mit hohem Streitwert handelt, b) die Interessenwahrung einen hohen Arbeitsaufwand notwendig macht, der den Rahmen dessen überschreitet, was der Einzelne üblicher- und zumutbarerweise nebenbei zur Besorgung der persönlichen Angelegenheiten auf sich zu nehmen hat, und c) zwischen dem betriebenen Aufwand und dem Ergebnis der Interessenwahrung ein vernünftiges Verhältnis besteht. Bei einem Aufwand von beispielsweise 22 3/4 Stunden sind diese Voraussetzungen noch nicht anzunehmen."
Aus Sicht des Bundesstrafgerichts legt der Beschwerdeführer diese besonderen Verhältnisse im Verfahre nicht richtig dar, weswegen seine dementsprechende Rüge unbegründet ist.
Weiter macht der Beschwerdeführer eine Schaden geltend, welcher ihm durch die Beschlagnahme seiner Datenträger erwachsen ist, wofür er einen Pauschalbetrag von CHF 5'000.-- geltend macht. Das Bundesstrafgericht anerkennt, dass die Beschlagnahme von elektronischen Geräten grundsätzlich einen Schaden bewirken kann (E. 5.5.1), aber:
"In rechtlicher Hinsicht trägt der Beschwerdeführer die Folgen dessen, dass er keine weiteren Angaben vorbringen wollte, die eine Festlegung oder sachgerechte Schätzung ermöglicht hätten. Es ist zudem inkongruent, nie eine Rückgabe zu verlangen, um sich dann nach gut zehn Jahren auf nicht mehr erhältliche Belege zu berufen und trotzdem einen bestimmten Wert als Schadenersatz zu verlangen. Schon dem Schlussprotokoll hat der Beschwerdeführer entnehmen können, welche Handlungen ihm vorgeworfen wurden. Er konnte somit auch die Beweisrelevanz der beschlagnahmten Gegenstände beurteilen. Allfällige relevante Daten hätten zudem vor einer Rückgabe der Geräte ohne weiteres gesichert (gespiegelt) werden können. Anschaffungs-, Bank- oder Kartenbelege hätten zumutbare Aufschlüsse zum Wert geben können. Ohne Belege oder detaillierte Vorbringen fehlen die Voraussetzungen, um Schadenersatz zusprechen zu können."
Ganz leer ausgehen muss der Beschwerdeführer gleichwohl nicht. Das Bundesstragericht spricht ihm wegen mässiver Verletzung des Beschleunigungsgebots eine Genugttung von CHF 500.-- zu (E. 6.3).
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