Zur solidarischen Nachleistungspflicht des Art. 12 Abs. 2 VStrR
Mit Urteilen vom 4. September 2023 (9C_16/2023, 9C_17/2023 und 9C_18/2023, Ersteres hier abrufbar: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza://04-09-2023-9C_18-2023&lang=de&zoom=&type=show_document&utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=taxlawblogch_dein_blog_zum_schweizer_steuerrecht&utm_term=2023-10-10) wies das Bundesgericht drei Beschwerden ab, mittels welchen sich die Beschwerdeführer gegen eine Nachleistungsverfügung der EZV (heute: BAZG) wehrten.
Hintergrund war der - strafrechtlich noch nicht festgestellte - angebliche Schmuggel von Käse und Fleischwaren in die Schweiz durch einen Dritten. Die Beschwerdeführer bezogen diese Waren bei dem Dritten und verkauften sie an Endkunden. Für die angeblich geschmuggelten Waren sollten die Beschwerdeführer über Art. 12 Abs. 2 VStrR (sog. subjektive Nachleistungspflicht) solidarisch haften. Da beim (nicht festgestellten) Schmuggel keine Kontingentsansätze anwendbar sind, ist der Einfuhrpreis der Waren - und damit die nachzuentrichtende MWST und die Zollgebühren - sehr viel höhrer als der Verkaufspreis. Das Bundesgericht begründet den Nachweis der widerrechtlichen Einfuhr (nur diese war streitig) als Voraussetzung der Nachleistungspflicht wie folgt:
"Die Vorinstanz hat der Unterinstanz folgend angenommen, dass anhand der Rechnungen überprüft werden könne und worden sei, ob die gelieferten Produkte ordnungsgemäss verzollt worden seien (vgl. auch Verfügung der EZV vom 19. März 2021 S. 3; Stellungnahme der EZV vom 24. Juni 2021 Rz. 15). Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist es ohne Weiteres plausibel, dass die auf den Rechnungen enthaltenen Informationen zu den Lieferungen (Mengen, Daten, etc.) einen solchen Abgleich erlauben. Umgekehrt bringt die Beschwerdeführerin keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die ihr gelieferten Produkte ordnungsgemäss verzollt gewesen sein könnten. Unter diesen Umständen lässt sich die tatsächliche Würdigung der Vorinstanz jedenfalls nicht als offensichtlich unrichtig bezeichnen. Sie hält also der bundesgerichtlichen Überprüfung stand und ist für das Bundesgericht verbindlich." (E. 3.3).
Der Entscheid steht in einer langen Reihe höchstproblematischer Urteile zur Reichweite von Art. 12 VStrR. Da diese rein verwaltungsrechtliche Norm keinerlei Verschulden voraussetzt und der Adressatenkreis absolut unverhältnismässig weit gezogen wird (vgl. dazu etwa BSK VStrR-Oesterhelt/Fracheboud, Art. 12 N 10 f., 17 ff.; vgl. nur beispielhaft zur absonderlichen und im Widerspruch zu Art. 12 Abs. 3 VStrR stehenden subjektiven "Geschäftsführernachleistungspflicht" vgl. BVGer 2C_420/2013 v. 04.07.2014, E. 3.5), könnte, nein: muss man erwarten, dass wenigstens an den Nachweis der widerrechtlichen Einfuhr (wenigstens dieser muss vorliegen) hohe Anforderungen gestellt werden, vor allem dann, wenn er - wie in allen Art.12 VStrR-Fällen - vom Bundesverwaltungsgericht (und nicht einem Strafgericht) geprüft wird.
Natürlich hat man von Behördenseite die unendliche Weite des Art. 12 Abs. 2 VStrR, der selbstverständlich auch alle Verjährungsregeln des MWSTG, des ZG etc. ausser Kraft setzt (dazu schon vor vielen Jahren Oesterhelt, Expert Focus 8/2017, S. 533 ff.), längst erkannt und setzt die verwaltungsrechtliche Solidarnachleistungspflicht als eigentliche Strafe ein. Wenig verwunderlich ist für deren Festsetzung denn auch der Strafrechtsdienst der jeweiligen Bundesverwaltungsbehörde tätig.
Die Konsequenzen sind im Übrigen fatal: Erwachsen die Nachleistungspflichten in Rechtskraft, so führt dies in vielen Fällen zu einer Überschuldung der entsprechenden Gesellschaft - welche dann ggf. wieder in Konkursdelikten und einer Kriminalisierung der involvierten natürlichen Personen mündet.
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