Finanzmarktstrafrecht
Im italienischsprachigen Entscheid CA.2021.20 vom 9. August 2023 (hier abrufbar: https://bstger2.weblaw.ch/cache?guiLanguage=de&q=%20CA.2021.20&id=a724bfd3-933b-4788-9f3a-9b0367b78218&sort-field=relevance&sort-direction=relevance), hatte die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts über die Strafbarkeit nach Art. 44 Abs. 2 (fahrlässige Tätigkeit als Effektenhändlerin ohne Bewilligung) und Art. 45 FINMAG (Falschauskunft) i.v.m. Art. 6 Abs. 2 VStrR von drei (faktischen) Organen, A., B., und C., einer Effektenhändlerin mit Sitz in Lugano zu entscheiden.
Das Eidgenössische Finanzdepartement stellte in seinem Strafbescheid vom 20. Dezember 2019 fest, dass die Effektenhändlerin in den Jahren 2011 und 2012 ein Transaktionsvolumen von (umgerechnet) über CHF 5 Mrd. auswies und die Tätigkeit deshalb einer entsprechenden Bewilligung bedurft hätte (Art. 10 aBEHG; Art. 41 FINIG). Der alleinige Geschäftsführer, A. und die beiden für die Effektenhändlerin operativ tätigen Wertschriften- und Devisenhändler B. und C. hätten als formelle resp. faktische Organe von D. bei der Überschreitung des Schwellenwerts von CHF 5 Mrd. eine entsprechende Bewilligung beantragen müssen. Indem sie dies unterliessen und gegenüber der FINMA falsch umgerechnete Transaktionsvolumina kommunizierten, hätten sie sich gemäss Art. 44 Abs. 2 und Art. 45 FINMAG strafbar gemacht. Im Rahmen der gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde, hatte sich die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts insbesondere mit folgenden Rügen auseinanderzusetzen:
- Anwendbarkeit des FINMA-Rundschreibens 2015/1 anstelle des damals geltenden FINMA-Rundschreibens 2008/2 (lex mitior); Konkret machten die Beschwerdeführer geltend, es sei das im Zeitpunkt der Beurteilung geltende FINMA-Rundschreiben 2015/1 anwendbar, weil dieses die Berechnung des Schwellenwerts nach dem monatlichen Durchschnittskurs erlaube und nicht nur die einzelnen Tageskurse berücksichtige. Die Beschwerdekammer kam in Anwendung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 121 IV 29 E. 2a) zum Schluss, dass sie an die von der FINMA und vom Bundesverwaltungsgericht im parallel geführten Verwaltungsverfahren nach dem FINMA-Rundschreiben 2008/2 berechneten Transaktionsvolumina gebunden sei und die Anwendbarkeit des FINMA-Rundschreibens 2008/2 deshalb nicht in Frage zu stellen sei (Entscheid B-3684/2015 vom 25. Januar 2017). Im dortigen Verfahren hatten die Beschwerdeführer die Anwendbarkeit des FINMA-Rundschreibens 2015/1 nicht vorgebracht, weshalb das Bundesverwaltungsgericht die Anwendbarkeit des FINMA-Rundschreibens 2008/1 verbindlich feststellen konnte (E. 3).
- Faktische Organschaft von B. und C.: B. und C. rügten ferner, dass sie nicht strafbar seien, weil sie keine faktischen Organe von D. gewesen seien und Art. 6 VstrR deshalb auf sie nicht anwendbar sei. Auch hier gelangte die Beschwerdekammer zum Schluss, dass die diesbezüglichen Feststellungen der FINMA und des Bundesverwaltungsgerichts bindend seien, wonach B. und C. leitende Funktionen zukamen und sie in gewissen Bereichen alleinig entscheidungsbefugt waren (Abschluss und Kündigung von Mietverträgen für die Büros, Entgegennahme von Geschäftsberichten, Entscheid über die Verwendung des Geschäftsgewinns und über die Auszahlung von Tantiemen etc.). Dies seien Befugnisse, die einzig Personen in leitenden Funktionen zukommen, weshalb eine faktische Organschaft gegeben sei (Entscheid B-3684/2015 vom 25. Januar 2017, E. 14.2 ff.).
- Irrtum über die Rechtswidrigkeit (Art. 21 StGB): Schliesslich rügten die Beschwerdeführer, sie hätten zum massgeblichen Zeitpunkt keine Kenntnis des FINMA-Rundschreibens 2008/2 gehabt resp. hätten den dort festgelegten Umrechnungsmechanismus nicht gekannt. Dem entgegnete die Beschwerdekammer, dass Art. 21 StGB restriktiv anzuwenden sei und sich ein jeder grundsätzlich der Gesetzmässigkeit seiner Handlungen bewusst sein müsse. In technischen oder bewilligungspflichtigen Bereichen sei der Täter verpflichtet, sich bei der zuständigen Behörde über die Rechtsgrundlagen zu informieren (BGer 6B_1035/2009 vom 26. August 2010, E. 2.2.3.). Vorliegend habe keiner der Beschwerdeführer belegen können, dass er sich bei der entsprechenden Behörde über die Rechtmässigkeit der konkreten Vorgehensweise informiert habe. Auch sei kein entsprechendes Gutachten eingeholt worden. Die Behauptung, dass sich die Beschwerdeführer entsprechend informiert hätten und ihnen von fachkundigen Personen versichert worden sei, dass ihr Vorgehen rechtmässig sei, erachtete die Beschwerdekammer als nicht glaubhaft (E. 1.8). Entsprechend wies die Beschwerdekammer auch diese Rüge ab.
Merke: Im Verwaltungsstrafverfahren dürfen vorab oder parallel laufende Verwaltungsverfahren NIE ausser Acht gelassen werden (und umgekehrt). Sonst kann dies gravierende Folgen für die Betroffenen haben. Gleichwohl erscheint im konkreten Fall durchaus fraglich, ob das Bundesstrafgericht mit seinem Entscheid richtig liegt, denn: Das Bundesgericht schliesst die Anwendung der lex-mitior-Regel im Verwaltungsrecht grundsätzlich aus (vgl. BGer 6B_212/2012, E. 2 vom 14.02.2013). Die lex-mitior-Rüge wäre in dem dem konkreten Verwaltungsstrafverfahren vorangegangenen Verwaltungsverfahren also vermutlich ins Leere gelaufen. Die Feststellungen zur zeitlichen Anwendbarkeit eines FINMA-Rundschreibens 2008/2 im Verwaltungsverfahren können für den Strafrichter mithin gerade nicht bindend sein, die lex-mitior-Rüge muss also (erstmals) im Verwaltungsstrafverfahren erhoben werden. Und sie ist dort dann auch zu berücksichtigen.
Weiterführende Literatur zum Irrtum im Finanzmarktstrafrecht: Leu, Vorsatz- und Schuldmangel durch fehlendes Pflichtbewusstsein? in: Jean-Richard-dit-Bressel/Zollinger (Hrsg.), Nur gut gemeint? – Vorsatz, Absicht und Schuld im Wirtschaftsstrafrecht, Zürich 2023, S. 63 ff. hier gratis abrufbar (Danke EIZ): https://eizpublishing.ch/wp-content/uploads/2023/06/Nur-gut-gemeint-Vorsatz-Absicht-und-Schuld-im-Wirtschaftsstrafrecht-Digital-V1_02-20230615.pdf
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