Mehrwertsteuerstrafrecht (Art. 98 lit. e MWSTG): ne bis in idem/Anforderungen an Pflichtwidrigkeit
Besser spät als nie: Nicht ganz untergehen darf der Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 24. August 2021 (Geschäfts-Nr.: SU200035-O/U/cwo; abrufbar hier: https://www.gerichte-zh.ch/fileadmin/user_upload/entscheide/oeffentlich/SU200035-O1.pdf). In diesem Mehrwertsteuerverfahren setzt sich das Obergericht mit zwei relevanten Fragen auseinander:
- Zum einen dem Grundsatz ne bis in idem: Der erstinstanzlich Beschuldigte brachte vor, dass das gegen ihn geführte Verfahren aufgrund ne bis in idem gemäss Art. 11 StPO (analog) einzustellen sei, da die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich ein auf dem gleichen bzw. einem ähnlichen Sachverhalt beruhendes Strafverfahren mit Verfügung vom 11. November 2020 eingestellt habe. Die ESTV stellte sich dagegen auf den Standpunkt, dass es sich bei den beiden Verfahren einerseits um unterschiedliche Sachverhalte handle und der Grundsatz "ne bis in idem" aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzen der ESTV und der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich ohnehin nicht zu Anwendung gelange.
Die Vorinstanz folgte dem letztgenannten Vortrag und ging davon aus, das Prinzip "ne bis in idem" stehe vorliegend einer Verurteilung des Beschuldigten nicht entgegen, da die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich nicht die gleiche Beurteilungskompetenz wie die ESTV habe. Ungeachtet des Umstandes, dass dieses Argument bereits aufgrund Art. 20 Abs. 3 VStrR nicht zu überzeugen vermag, schiebt das Obergericht dem entschieden einen Riegel vor, denn die rechtliche Qualifikation spielt bei der Beurteilung der Frage, ob Tatidentität im Sinne von Art. 11 StPO vorliegt, gar keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr der Lebenssachverhalt bzw. die Frage, ob es sich um den gleichen Sachverhalt bzw. im Wesentlichen gleichen Sachverhalt handelt.
Dies liest sich wie folgt: "3.4.2 In der vorliegenden Konstellation, in welcher die von der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich untersuchten Vorgänge und der als nicht strafbar beurteilten Handlungen des Beschuldigten im Rahmen der Buchführungspflicht gerade erst die Grundlage für eine Verletzung gemäss Art. 98 lit. e MWSTG darstellen würden, ist die eingangs erwähnte Einschränkung des Grundsatzes "ne bis in idem" aufgrund unterschiedlicher Kompetenzen der ESTV und der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich – entgegen der Ansicht der ESTV – nicht von Relevanz. Mit anderen Worten war auch die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich befugt, den vorliegend relevanten Sachverhalt im Hinblick auf die Buchführungspflichten zu prüfen, wobei es keinen Unterschied macht, dass sie dies unter dem Titel der Unterlassung der Buchführung im Sinne von Art. 166 StGB bzw. der ordnungswidrigen Führung von Geschäftsbüchern im Sinne von Art. 325 StGB getan hätte und nicht wie die ESTV unter dem Titel einer Verfahrenspflichtverletzung im Sinne von Art. 98 lit. e MWSTG, zumal es auf die rechtliche Qualifikation nicht ankommt."
- Zum anderen setzt sich das Obergericht mit der Frage auseinander, welche Anforderungen an den beschuldigten GmbH-Geschäftsführer zu stellen sind, wenn dieser bemerkt, dass die Bücher nicht ordnungsgemäss geführt werden. Die Vorinstanz führte aus, dass sich der Beschuldigte eben nicht damit exkulpieren könne, dass er den Eigentümer der GmbH auf die in Zusammenhang mit der Buchhaltung festgestellten Unregelmässigkeiten hingewiesen habe. Er hätte diese vielmehr "konsequenter verfolgen" und allenfalls auch einen früheren Rücktritt in Betracht ziehen müssen.
Auch dem folgt das Obergericht nicht. Denn bei der Bewertung von geschäftlichen Handlungen und Entscheidungen aus der ex-post Perspektive ist dem Handelnden ein gewisser Ermessensspielraum zuzugestehen. Diesbezüglich stellt das Gericht auch auf die "business judgement rule" ab, welche besagt, dass ein Geschäftsentscheid in Nachhinein bloss danach zu beurteilen ist, ob er aufgrund einer ausreichenden Informationsbasis ergangen ist, frei von Interessenkonflikt gefällt wurde und vertretbar erscheint, wohingegen noch keine Pflichtwidrigkeit vorliegt, bloss weil sich ein Geschäftsentscheid im Nachhinein als falsch erweist. Eben diese Pflichtwidrigkeit verneint das Obergericht denn auch, habe der Beschuldigte die Verantwortung doch nicht "einfach an den Firmeneigentümer" delegiert. Vielmehr habe er den Eigentümer mehrfach abgemahnt und ihm die Mandatsniederlegung angedroht, sollte dieser die notwendigen Dokumente und Informationen nicht liefern, die zur ordnungsgemässen Buchführung notwendig waren. Nachdem diese Bemühungen des Beschuldigten aber nicht von Erfolg beschieden waren, sah er sich gezwungen, das Mandat Ende 2012 niederzulegen. Dies war ausreichend, weswegen das Obergericht den Beschuldigten auch zurecht freigesprochen hätte, hätte es das Verfahren nicht bereits aufgrund ne bis in idem eingestellt.
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