Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn (Art. 6 Abs. 2 VStrR)
Die Anmerkung von Herrn Kollege Thomas Fingerhuth zu BGE 142 IV 315 (abrufbar unter: http://www.servat.unibe.ch/dfr/bger/160602_6B_70-2016.html) in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift forumpoenale (Heft 3/2017) bietet Anlass, diesen bereits im vergangenen Jahr publ. Bundesgerichtsentscheid betreffend die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn auch an dieser Stelle noch etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
In der Sache ging es um einen Landwirtschaftsbetrieb, von welchem umweltgefährdende bzw. -schädliche Emissionen ausgingen. Konkret gelangte einerseits widerrechtlich (Art. 70 Abs. 1 lit. a GSchG, vgl. auch Art. 6 Abs. 1 GSchG) Gülle in einen angrenzenden Fluss, welche nicht nur das Wasser verschmutzte, sondern darüber hinaus zum Versterben zahlreicher Fische, Krevetten und Insekten führte, anderseits wurde widerrechtlich (Art. 61 Abs. 1 lit. f USG, vgl. auch Art. 30c Abs. 2 USG) Abfall im Freien verbrannt (E. 2.1). Diese tatsächlichen Umstände blieben denn auch vor Bundesgericht unbestritten. Der Chef des besagten Landwirtschaftsbetriebes rügte allerdings seine Verurteilung gestützt auf Art. 6 Abs. 2 VStrR (ebenso, für unseren Blog indessen weniger relevant, die Höhe des Tagessatzes der vom Kantonsgericht Waadt ausgesprochenen Geldstrafe, vgl. hierzu E. 5 betr. Art. 34 Abs. 2 Satz 2 StGB).
Art. 6 Abs. 2 VStrR findet kraft expliziten Verweises Anwendung auf Straftaten gegen die Gewässer- und Umweltschutzgesetzgebung (Art. 73 GSchG und Art. 62 Abs. 1 USG). Das Bundesgericht rezitiert zunächst die allgemeinen Voraussetzungen der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung: Die Verletzung einer Rechtspflicht im Sinne von Art. 6 Abs. 2 VStrR setzt eine Garantenstellung voraus, d.h. eine rechtliche Pflicht des Geschäftsherrn, das fragliche Verhalten durch Überwachung, Erteilen von Weisungen und nötigenfalls Eingreifen zu verhindern. Da sich die Bestimmungen des Verwaltungsrechts in der Regel an den Geschäftsherrn richten, ist dieser rechtlich verpflichtet, deren Anwendung sicherzustellen bzw. deren Verletzung zu verhindern (E. 2.2.2).
Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung des Chefs wegen den genannten Gewässer- und Luftverschmutzungen. In seiner Funktion als Geschäftsherr – diese Stellung wurde vom Beschwerdeführer offenbar nicht bestritten (E. 2.1) – hätte er dafür sorgen können und müssen, dass die Bestimmungen des GSchG und USG bei der Bewirtschaftung seines Landwirtschaftsbetriebes eingehalten werden. Dies habe er (zwar nicht vorsätzlich, aber immerhin) fahrlässig unterlassen (E. 2.4). In concreto stellte das Gericht fest, dass der Chef gewusst habe (oder zumindest hätte wissen müssen), dass die Gülle einen hohen Stand erreichen, also der Güllenkasten überlaufen und die Gülle über ein Rohr in eine Art Regentonne und hernach in den Fluss gelangen könnte. Er habe es pflichtwidrig unterlassen, seine Angestellten dahingehend zu überwachen oder mind. zu instruieren, sämtliche Vorsichtsmassnahmen zu treffen, damit die Gülle nicht in den Fluss gelangt (E. 2.3.1). Des Weiteren habe der Chef, weil er täglich auf dem Betriebsgelände anwesend gewesen sei, gewusst (oder zumindest habe ihm dies nicht entgehen können), dass auf seinem Gelände Abfall widerrechtlich im Freien verbrannt wird, wogegen er ebenfalls pflichtwidrig nichts unternommen habe (E. 2.3.2).
So weit, so unspektakulär. Die Besonderheit des Entscheides liegt darin, dass das Bundesgericht soweit ersichtlich erstmals in seiner amtlichen Sammlung festhält, dass die Verletzung einer Rechtspflicht eine positiv zu begründende Garantenstellung voraussetzt, Art. 6 Abs. 2 VStrR mithin ein unechtes Unterlassungsdelikt darstellt. Dies steht zwar in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts (etwa BGer 6B_189/2009, Urt. v. 20. Mai 2009), wurde aber etwa vom Bundesverwaltungsgericht offenbar anders gesehen (BVGer A-3141/2011, Urt. v. 23. August 2012, E. 6.2). Der vorliegende Entscheid dient also, was durchaus zu begrüssen ist, der Rechtsklarheit. Dies ändert freilich nichts daran, dass das Bundesgericht nur (und zu) geringe Anforderungen an die Bejahung einer solchen Garantenstellung stellt.
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