Umwandlung einer Busse in eine Ersatzfreiheitsstrafe (Art. 10 VStrR)
Mit Verfügung vom 17. Juni 2019 ist das Bundesstrafgericht (Sk.2020.9; abrufbar unter:https://bstger.weblaw.ch/cache/pub/cache.faces?file=20200617_SK_2020_9.htm&ul=de) bei der Umwandlung einer verwaltungsstrafrechtlichen Busse in eine Ersatzfreiheitsstrafe – soweit ersichtlich das erste Mal – vom Gesetzestext in Art. 10 Abs. 3 Satz 1 VStrR abgewichen, der eine "starre Umwandlungsrate" von einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe pro Fr. 30.-- Busse vorsieht. Der Entscheidung des Bundesstrafgerichts lag der Sachverhalt zugrunde, dass der wegen Widerhandlungen gegen die Finanzmarkgesetze rechtskräftig (u.a) zu einer (Verbindungs-)Busse von Fr. 3'000.-- Verurteilte die Verbindungsbusse nur spärlich bezahlte (4 Monatsraten zu je Fr. 35.--) und der Restbetrag auch bei einer Betreibung uneinbringlich blieb.
Das Bundesstrafgericht argumentierte (E. 5.1), dass die Bussenumwandlung streng nach dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 3 Satz 1 VStrR in vorliegendem Fall zu einem "sachlich unhaltbaren Ergebnis" führen würde. Der in der Bestimmung vorgesehene Umwandlungssatz trage der Entwicklung der Lebenshaltungskosten seit der Inkraftsetzung der Regelung im Jahr 1975 nicht Rechnung. Bei der Bussenumwandlung im Anwendungsbereich des StGB werde in der Praxis in der Regel mit einem Umwandlungssatz von Fr. 100.-- für einen Tag Freiheitsentzug gerechnet. Auch im vorliegenden Fall sei bei der Zumessung der Verbindungsbusse mit diesem Umwandlungssatz von Fr. 100.-- gerechnet worden, indem von der Einsatzstrafe von 11 Monaten Freiheitsstrafe als Kompensation der Verbindungsbusse ein Monat abgezogen worden sei und letztlich lediglich eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten ausgesprochen worden sei. Bei der Anwendung eines Umwandlungssatzes von Fr. 30.-- würde in casu in die Substanz der im Urteil ausgesprochenen (rechtskräftigen) Strafe eingegriffen und die Strafzumessung und -umwandlung "ad absurdum" geführt. Aus diesem Grund dränge sich vorliegend ein Abweichen vom starren Umwandlungssatz von Art. 10 Abs. 1 Satz 1 VStrR auf.
Im Ergebnis gelangte das Bundesstrafgericht (in Anwendung eines Umwandlungssatzes von einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe pro Fr. 100.-- Busse und unter Anrechnung von 4 Ratenzahlungen zu je Fr. 35.--) somit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 27 Tagen, anstelle der von eidg. Finanzdepartement nach Massgabe des Gesetzestextes von Art.10 Abs. 3 VStrR beantragten 90 Tagen.
Der Entscheid des Bundesstrafgerichts ist nachvollziehbar. In der Tat bestehen einige Anhaltspunkte, dass der in Art. 10 Abs. 3 Satz 1 VStrR vorgesehene Umwandlungssatz – welcher in punkto „Lebenshaltungskosten" wohl sogar deutlich länger zurückliegen dürfte als 1975 – nur noch deswegen existiert, weil der Gesetzgeber den Unzulänglichkeiten der in die Jahre gekommenen Verwaltungsstrafgesetzgebung zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Ein Blick in die Botschaft des VStrR zeigt, dass der Gesetzgeber im Anwendungsbereich des Verwaltungsstrafrechts – von der Umwandlung von Ordnungsbussen abgesehen – im Grunde genommen dasselbe Umwandlungsregime verwirklichen wollte, wie im Kernstrafrecht (vgl. BSK VStrR-Achermann, Art. 10 N 11 ff.). Nur leider versäumte der Gesetzgeber es, die Weiterentwicklungen des kernstrafrechtlichen Umwandlungsrechts, insb. durch Aufhebung eines festen Umwandlungssatzes, im Verwaltungsstrafrecht vollumfänglich nachzuvollziehen. Die Anwendung der im Verwaltungsstrafrecht nach wie vor bestehenden "starren Umwandlungsrate“ kann – wie gerade der hier besprochene bundesstrafgerichtliche Fall deutlich macht – zu absurden Ergebnissen führen, weil Art. 10 Abs. 3 VStrR den Überlegungen, die der Zumessung der fraglichen Busse zu Grunde liegen, keinerlei Rechnung trägt (geradezu unerträglich würde die Anwendung von Art. 10 Abs. 3 Satz 1 VStrR bei der Umwandlung einer mit Tagessätzen bemessenen Geldstrafe, vgl. BGE 141 IV 407 E. 3.5.1). Alle Anhaltspunkte deuten also darauf hin, dass die fortbestehende Existenz des Umwandlungssatzes in Art. 10 Abs. 3 Satz VStrR auf einer gesetzgeberischen Nachlässigkeit bzw. Vernachlässigung des Verwaltungsstrafrechts gründet.
Trotzdem unterliegt das Vorgehen des Bundesstrafgerichts ganz grundsätzlichen Bedenken. Eine ausdrückliche Gesetzesbestimmung deswegen nicht anzuwenden, weil das Ergebnis nicht überzeugt (sog. unechte Lückenfüllung), bedeutet im Grunde genommen den Vollzug einer ausdrücklichen gesetzgeberischen Anordnung zu verweigern und ist daher vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung problematisch. Ein derartiges Vorgehen sollte deswegen nur in Ausnahmefällen praktiziert werden. Art. 10 VStrR wurde ganz kürzlich einer Gesetzesrevision unterzogen, der neue Gesetzestext trat Anfang Jahr 2020 in Kraft. Die Tatsache, dass Art. 10 Abs. 3 VStrR auch nach dieser Revision nach wie vor einen starren Umwandlungssatz vorsieht, könnte man dahingehend interpretieren, dass der Gesetzgeber von dieser Regelung bewusst nicht absehen wollte, was der bundesstrafgerichtlichen Entscheidung vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsprinzips weitere Brisanz verleiht. Nichtsdestotrotz können die grundsätzlichen Bedenken deswegen relativiert werden, weil das Vorgehen des Bundesstrafgerichts keinerlei nachteilige Auswirkungen auf die Freiheitsgrundrechte der betroffenen Person hat, sondern, im Gegenteil, für die verurteilte Person im Ergebnis deutlich milder (und auch sachgerechter) ausfällt. Aufgrund dieses letztgenannten Umstands fallen nach meiner persönlichen Auffassung bei einer Abwägung die bundesstrafgerichtlich vorgebrachten Argumente stärker ins Gewicht, als die dagegen sprechenden grundsätzlichem Bedenken.
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