Zuständigkeitskonflikte zwischen Bundesverwaltungsbehörden und kantonalen Strafbehörden in Verwaltungsstrafsachen
In seinem Beschluss vom 26. Oktober 2021 (BG.2021.22) befasst sich die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts mit einem Zuständigkeitskonflikt in einer Verwaltungsstrafsache zwischen einer Bundesverwaltungsbehörde, dem Bundesamt für Verkehr BAV, und einer kantonalen Strafbehörde, der Staatsanwaltschaft des Kanton Bern (hier abrufbar: https://bstger.weblaw.ch/#/cache?id=7e5699f9-61b4-4512-a26c-630d9c99f66f&searchTerm=VStrR&&sortField=publicationDate&sortDirection=desc&index=0&guiLanguage=de&size=n_20_n). In diesem Entscheid werden wichtige Grundsatzfragen, insbesondere zum Verhältnis zwischen Normen des Verwaltungsstrafrechts zu solchen des Kernstrafrechts, behandelt.
Diesem Entscheid lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Mit Schreiben vom 24. November 2020 reichte das BAV bei der Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland Strafanzeige wegen des Verdachts auf Widerhandlungen gegen Art. 27 des Staatsbeitragsgesetzes des Kantons Bern vom 16. September 1992, Art. 146 StGB, Art. 158 StGB, Art. 251, auf Verletzung von Art. 37 SuG i.V.m. Art. 14 VStrR und Art. 38 SuG und konstituierte sich als Privatkläger. Die Strafanzeige richtet sich gegen die A AG, die B AG als deren Tochtergesellschaft, die für sie handelnden und verantwortlichen Organe und Mitarbeitenden sowie gegen Unbekannt. Ihnen wird im Wesentlichen vorgeworfen, die Erlöse betreffend das Halbtaxabonnement aus dem Libero-Verkehrsverbund in den Offerten für den bestellten und abgegoltenen Regionalverkehr nicht berücksichtigt zu haben. Dies habe zu zu hohen Abgeltungen geführt, wodurch die Besteller (Bund und Kantone) geschädigt worden seien.Die Generalstaatsanwaltschaft des Kanton Bern verneinte daraufhin die Zuständigkeit des Kantons Bern für die angezeigten Delikte. Zur Begründung führte die Generalstaatsanwaltschaft aus, dass das BAV durch die Aufforderung zur Herausgabe von Unterlagen gegenüber der A AG und durch die Einsicht in den Untersuchungsbericht der C ein Verwaltungsstrafverfahren eröffnet habe. Das BAV könne deshalb als zuständige Behörde nicht zugleich eine Strafanzeige bei einer anderen Behörde erstatten. Des Weiteren führte die Generalstaatsanwaltschaft aus, dass sie allfällige Delikte aus dem Strafgesetzbuch nicht erkennen könne. Die angezeigten verwaltungsstrafrechtlichen Delikte würden auch nicht unter die fakultative Kompetenz der Kantone fallen, weshalb die Zuständigkeit beim BAV liege. Hiergegen gelangte das BAV an die über Art. 25 Abs. 1 VStrR zuständige Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und stellt den Antrag, der Kanton Bern sei für die Verfolgung der in der Anzeige vom 24. November 2020 vorgebrachten Sachverhalte für zuständig zu erklären.
Nach der Klärung spannender formeller Vorfragen (z.B. jener nach einer 10-tägigen Frist zur Gesuchsstellung über Art. 396 Abs. 1 StPO doppelt-analog [E. 1.4], welche nach meinem Dafürhalten zu bejahen gewesen wäre, sowie der Frage, ob derartigen Gesuchen ein sog. Meinungsaustausch vorangehen müsse [E. 1.5]) verneint die Beschwerdekammer des Bundesstrafgericht eindeutig eine Anwendung der vom BAV beanzeigten Strafnormen des Strafgesetzbuchs. Hierfür prüft das Gericht zunächst, ob bzgl. des beanzeigten Sachverhalts ein Tatverdacht i.S.v. Art. 37 SuG i.V.m. Art. 14 VStrR (E. 3.5) sowie Art. 15 VStrR (E. 3.4) vorliege. Dieser ist aus der Sicht der Beschwerdekammer gegeben, weswegen es in einem weiteren Schritt das Konkurrenzverhältnis zwischen den vorerwähnten Normen des Verwaltungsstrafrechts und den Art. 146 StGB sowie Art. 251 StGB prüft. Hier kommt es zu der - völlig richtigen - Ansicht, dass die Normen des Verwaltungsstrafrechts jenen des Kernstrafrechts als lex specialis vorgehen (E. 4.3 und 4.4). Da zudem "auch in Anwendung des in dubio pro duriore Grundsatzes" (sic) kein Tatverdacht hinsichtlich einer ebenfalls beanzeigten ungetreuen Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB) besteht, kommen nur Normen des Verwaltungsstrafrechts zur Anwendung, welche eindeutig der Zuständigkeit der Bundesverwaltungsbehörde (und eben nicht der kantonalen Staatsanwaltschaft) unterstehen. Da diese Zuständigkeit natürlich auch durch die Einreichung einer Strafanzeige bei einer anderen Strafverfolgungsbehörde nicht dahinfällt, weisst das Bundesstrafgericht das Gesuch des BAV völlig zu Recht ab.
In Hinblick auf den Vorrang von Art. 37 SuG i.V.m. Art. 14 VStrR zu Art. 146 StGB setzt sich das Gericht auch mit der immer wieder auftretenden Frage der im Vergleich zum gemeinrechtlichen Betrug geringere Strafrahmen der Verwaltungsstrafttatbestände auseinander (E. 4.3.2). Dieser geringere Strafrahmen ändere indes nichts an deren Vorangstellung. Das Bundesstrafgericht begründet dies damit, dass der Gesetzgeber die Verwaltungsstrafnormen bewusst mit milderen Strafandrohungen als die analogen Bestimmungen des StGB ausgestattet habe, um der besonderen Pflichtenlage zwischen dem Bürger und dem Staat sowie der Tatsache, dass der Täter einer hoheitlich handelnden, mit besonderen Untersuchungs- und Fachkompetenzen ausgestatteten Behörde gegenübersteht, wozu unter anderem die Prüfung der ihr eingereichten Unterlagen zur Ausrichtung von Subventionen zählt, Rechnung zu tragen. Dem ist vollumfänglich zuzustimmen und bildet (wie viele andere Orten im Recht, in welchen der einzelne Bürger in den Mittelpunkt gestellt wird) nach meinem Dafürhalten auch das Staatsverständnis der Schweiz ab. Fraglich ist vor diesem Hintergrund nur, warum diese Vorrangstellung nicht auch für Verstösse gegen kantonale Gesetze (z.B. jene der Sozialhilfe) gilt.
Teilen:
Beitrag kommentieren
Ihr Kommentar wird nach einer Prüfung freigeschaltet.