Verzicht auf Vollstreckung der Strafe infolge Vaterschaft (Art. 10 Abs. 2 VStrR)
Mit Verfügung SK.2023.12 vom 22. August 2023 (hier abrufbar: https://bstger2.weblaw.ch/cache?guiLanguage=de&id=bf7fcdd4-2c83-40b4-aa24-d645628076fe&sort-field=relevance&sort-direction=relevance) hat das Bundesstrafgericht - soweit ersichtlich - erstmals eine verwaltungsstrafrechtliche Sonderbestimmung angewandt, die es erlaubt, aus nachträglich eingetretenen Gründen auf den Vollzug einer rechtskräftig festgesetzten Strafe zu verzichten.
Sachverhalt und Entscheid des Bundesstrafgerichts
A. wurde mit Strafbescheid des Eidgenössischen Finanzdepartements der unbefugten Entgegennahme von Publikumseinlagen gemäss Art. 46 Abs. 1 lit. a Bankengesetz schuldig gesprochen und u.a. zu einer (Verbindungs-)Busse von Fr. 800.-- verurteilt. Der Strafbescheid erwuchs in Rechtskraft. In der Folge beglich der in Österreich wohnhafte A. weder die Busse noch die ihm auferlegten Verfahrenskosten und reagierte auch nicht auf Zahlungsaufforderungen. Aus diesem Grund beantragte die Bundesanwaltschaft beim Bundesstrafgericht, die nichteinbringliche Busse in 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe umzuwandeln.
Das Bundesstrafgericht hielt in seinem Entscheid fest, dass A. im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens dargelegt habe, dass er zurzeit ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 1'338.‑‑ erziele und Vater geworden sei, womit er monatliche Unterhaltsbeiträge von EUR 800.-- zu bezahlen habe. Das Gericht erwägt aufgrund dieser Angaben von A., dass sich das Einkommen von A. seit dem Zeitpunkt des Strafbescheids nicht massgeblich geändert habe. Neu seien aber die Unterhaltsbeiträge hinzugekommen, weshalb A. nunmehr rund 2/3 weniger finanzielle Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung habe. Demnach sei die Umwandlung im Sinne von Art. 10 Abs. 2 VStrR auszuschliessen, weil A. nachgewiesen habe, dass sich dessen finanzielle Situation nach dem Strafbescheid abrupt und substanziell verändert habe und dieser somit schuldlos ausserstande sei, die Busse zu bezahlen. Aus diesem Grund kommt das Bundesstrafgericht zum Schluss, dass das Gesuch um Umwandlung der Busse in eine Ersatzfreiheitsstrafe abzuweisen sei.
Kommentar
Die Möglichkeit der "Ausschliessung" der Umwandlung einer nicht einbringlichen monetären Sanktion des Verwaltungsstrafrechts in eine Freiheitsstrafe nach den Voraussetzungen von Art. 10 Abs. 2 VStrR ist - mittlerweile - eine verwaltungsstrafrechtliche Besonderheit. Nach den Umwandlungsregeln des Kernstrafrechts in Art. 36 und 106 StGB besteht keine Möglichkeit, die Umwandlung aufgrund nachträglich verschlechterter wirtschaftlicher Verhältnisse auszuschliessen. Die Möglichkeit, dass der Verurteilte in solchen Härtefällen gemäss Art. 36 Abs. 1 aStGB den Richter anrufen konnte, um die Zahlungsfrist zu verlängern oder den Tagessatz herabzusetzen, wurde anfangs 2018 ersatzlos aus den Gesetz gestrichen. Seither besteht für Straftäter, die sich einer kernstrafrechtlichen Straftat schuldig gemacht haben und die sich infolge unverschuldeter Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse ausserstande sehen, die verhängte Geldstrafe oder Busse zu bezahlen, nur - aber immerhin - noch die Möglichkeit, bei der Vollzugsbehörde Zahlungserleichterungen oder die Umwandlung in eine gemeinnützige Arbeit zu beantragen.
Die Ausschliessung nach Art. 10 Abs. 2 VStR setzt nach dem Gesetzestext voraus, dass die verurteilte Person "schuldlos" ausserstande ist, die Busse zu bezahlen. Die Lehre hat diese Passage so ausgelegt, dass sich die finanzielle Verhältnisse der verurteilten Person nach der Rechtskraft "ohne ihr Zutun" verändern und hat dabei als Beispiele den Eigentumsverlust aufgrund einer Naturkatastrophe, schwere Krankheit oder Verlust der Arbeitsstelle genannt (vgl. Eicker/Frank/Achermann, Verwaltungsstrafrecht und Verwaltungsstrafverfahrensrecht, Bern 2012, S. 80; Cimichella, Die Geldstrafe im Schweizer Strafrecht unter Berücksichtigung der Problematik zum bedingten Vollzug, Diss. ZH, Bern 2006, S. 255 f.). Von alledem kann bei der Sachlage, die bei vorliegendem Entscheid zugrunde lag, keine Rede sein. Das Bundesstrafgericht hat ausdrücklich festgehalten, dass diese Voraussetzung in vorliegendem Fall - folgt man der Auslegung der Lehre - genaugenommen nicht gegeben ist. Die aus der Vaterschaft gründenden Zahlungen seien durchaus auf das Zutun von A. zurückzuführen, doch könne ihm die Vaterschaft - selbst wenn diese geplant gewesen wäre - "aus ethischen Gründen" nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Die effektive Ausschliessung der Umwandlung durch vorliegend besprochenem Entscheid des Bundesstrafgerichts dürfte - soweit ersichtlich - ein Novum darstellen. Ein Urteil mit derselben Rechtsfolge ist mir nicht bekannt und habe ich bei einer Recherche veröffentlichter Urteile nicht gefunden. Verwaltungsstrafrecht wäre wohl nicht Verwaltungsstrafrecht, wenn das erste (veröffentlichte) Präjudiz betreffend Art. 10 Abs. 2 VStrR nicht auf einem atypischen Sachverhalt beruhte, der bezüglich den Anwendungsvoraussetzungen zumindest diskutabel ist.
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