Zum strukturellen Defizit des Verwaltungsstrafrechts
Es ist sicher falsch, Entscheide, an welchen man selber beteilgt war resp. ist, zu besprechen. Denn es fehlt an der nötigen Objektivität. Diese ist aber dann nicht notwendig, wenn die Fehlerhaftigkeit so evident ist, wie im konkreten Fall:
In diesem rügte die Verteidigung in ihrem Plädoyer ausführlich die Verwertbarkeit der aus einer Hausdurchsuchung (Hausdurchsuchungsbefehl einer Bundesverwaltungsbehörde) resultierenden Erkenntnisse. Dabei wurde explizit – und nicht, dass es notwendig wäre – auf Art. 48 VStrR hingewiesen, welcher im vorliegenden Fall, völlig unzweideutig einem Verwaltungsstrafverfahren, einschlägig war. Das Gericht hält das nicht davon ab, seine Prüfung so einzuleiten:
«Bei der am XXX durchgeführten Hausdurchsuchung handelt es sich um eine Zwangsmassnahme im Sinne der Strafprozessordnung (Art. 196 ff. StPO; Art. 244 f. StPO).»
Dem folgen auch sämtliche sich hieran anschliessende Ausführungen des Gerichts, welche sich ausschliesslich auf die Strafprozessordnung und die dazu ergangene Rechtsprechung sowie strafprozessuale Literaturmeinungen abstützen. Dabei handelte es sich bei der Hausdurchsuchung eindeutig um eine verwaltungsstrafrechtliche Zwangsmassnahme nach Art. 48 f. VStrR, die StPO ist also gar nicht einschlägig resp. anwendbar. Normen der Strafprozessordnung sind im Verwaltungsstrafverfahren nach eindeutigster Rechtsprechung des Bundesgerichts nämlich nur dann analog anwendbar, wenn echte Regelungslücken bestehen (vgl. statt vieler BGE 139 IV 246 E. 1.2). Diese gibt es in Bezug auf eine Hausdurchsuchung ganz offensichtlich nicht. Zudem können Zwangsmassnahmen der StPO ohnehin nicht analog im Verwaltungsstrafverfahren zum Nachteil des der Beschuldigten angewendet werden (vgl. etwa Vetterli, ZStrR 130 [2012], S. 450 f.; dies., Gesetzesbindung im Strafprozess. Zur Geltung von Verwertungsverboten und ihrer Fernwirkung nach illegalen Zwangsmassnahmen, Zürich 2010, S. 201; Eicker/Achermann/Lehner, AJP 2013, S. 1463).
Es ist vollkommen unbegreiflich, wie das Gericht dies nicht bemerken konnte, offenbart aber ein ganz erhebliches Problem des derzeit geltenden Verwaltungsstrafrechts: Einerseits werden Verwaltungsstrafverfahren nicht von Staatsanwaltschaften, sondern von Bundesverwaltungsbehörden geführt. Der Gesetzgeber hat dies so geregelt, weil die Bundesverwaltungsbehörden über spezielle Kenntnisse in der jeweiligen Spezialmaterie (MWSTG, ZG, FINMAG und anderen Finanzmarktgesetze, HMG, BGS etc.) verfügen, welche die Staatsanwaltschaften offenbar nicht haben (sollen). Unterstellt man einmal, dass dem so wäre, so fragt sich, wer denn letztlich entscheidet. Ganz einfach: Nicht die Bundesverwaltungsbehörde, sondern die Gerichte! Die kantonalen Gerichte haben diese "speziellen Kenntnisse" aber - das oben geschilderte Beispiel zeigt dies exemplarisch - zumindest teilweise nicht. Was ja sogar noch verständlich ist, denn Verwaltungsstrafverfahren gehören nicht zum Tagesgeschäft (was freilich nicht davon entbindet, zumindest das richtige Gesetz anzuwenden). Dann aber geht die gesetzgeberische Konzeption fehl, denn über die besten Kenntnisse in der jeweiligen Spezialmaterie sollte ja eigentlich der verfügen, der entscheidet. Dem ist zumindest teilweise nicht so. Vielmehr stehen die kantonalen Gerichte unter dem Eindruck, dass es die Bundesverwaltungsbehörde ja genau weiss, denn es ist ja ihre Spezialmaterie.
Deswegen: Die mit dem Verwaltungsstrafrecht befassten Gerichte müssen ebenfalls über "Kenntnisse in der jeweiligen Spezialmaterie" verfügen. Wenn das nicht möglich ist, dann sollte das Verwaltungsstrafrecht in der derzeitigen Konzeption schlicht abgeschafft werden!
Teilen:
Beitrag kommentieren
Ihr Kommentar wird nach einer Prüfung freigeschaltet.