Aufsatz von Lachat-Boillat zum Thema Akteneinsichtsrecht im Bereich des Heilmittelrechts (Art. 36 VStrR i.V.m. Art. 26 - 28 VwVG)
Ein kürzlich in der AJP veröffentlichter Beitrag von Séverine Lachat-Boillat zum Thema Akteneinsichtsrecht im Bereich des Heilmittelrechts (Accès au dossier à la lumière du droit des produits thérapeutiques, AJP 2017 S. 900-906) bietet einen guten Überblick über die Handhabung der Akteneinsicht in Bezug auf die verschiedenen anwendbaren Verfahrensarten (Verwaltungs-, Straf- und Verwaltungsstrafverfahren) und gibt Anlass zu einer zusätzlichen verwaltungsstrafrechtlichen Überlegungen zu diesem Thema.
Im Rahmen eines laufenden Verwaltungsstrafverfahrens vermerkt die Autorin nämlich, dass Art. 36 VStrR auf die Regelungen in Art. 26 – 28 VwVG verweist und somit Verwaltungsverfahrensrecht anwendbar ist. Inwiefern auch die strafprozessuale Regelung in Art. 101 StPO im Verwaltungsstrafverfahren Anwendung finden soll, lässt sie hingegen mit dem Verweis auf eine restriktive Interpretation dieser Normen offen (S. 902). Tatsächlich stellt sich die Anwendung von Art. 101 StPO insbesondere für den zeitlichen Aspekt der Akteneinsicht, da sich Art. 26 VwVG zur Frage, zu welchem Zeitpunkt Einsicht gewährt werden soll, nicht äussert. In persönlicher Hinsicht hingegen gewährt Art. 26 VwVG den Parteien und ihrer Vertretung das Recht auf Akteneinsicht, und in sachlicher Hinsicht wird der Umfang sowie die Einschränkung des Akteneinsichtsrechts ebenfalls durch die Regelung in Art. 27 VwVG (resp. in Art. 25 Abs. 3 VStrR für das Beschwerdeverfahren) normiert.
Zu welchem Zeitpunkt ist also im Verwaltungsstrafverfahren Akteneinsicht zu gewähren? Da sich Art. 26 VwVG darüber ausschweigt, darf angenommen werden, dass einem Gesuch um Akteneinsicht unmittelbar stattgegeben werden soll, solange keine in Art. 27 VwVG aufgeführten Einschränkungsgründe vorliegen. In diesem Sinne wird der zeitliche Aspekt denn auch im Verwaltungsverfahren von der Lehre definiert (vgl. etwa Waldmann/Oeschger, Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVG], 2016, Art. 26 VwVG, Rz. 89). Die in Art. 27 VwVG genannten Ausnahmen dürfen aber gerade bei der Akteneinsicht der beschuldigten Person nicht dazu führen, dass eine Akteneinsicht nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person weiterhin verwehrt bleibt, ist Verwaltungsstrafrecht doch unstreitig als echtes Strafrecht zu qualifizieren und hat deshalb den in Art. 101 Abs. 1 StPO normierten Grundanforderungen zu genügen. Eine Ausnahme des Akteneinsichtsrechts wäre daher lediglich aufgrund einer analogen Anwendung von Art. 108 StPO zu prüfen. Eine grosszügigere Interpretation des Akteneinsichtsrechts im Verwaltungsstrafverfahren zu Gunsten der beschuldigten Person ist daher möglich, eine restriktivere hingegen nicht, sollen strafprozessuale Garantien nicht durch die Anwendung von Verwaltungsverfahrensregeln ausgehöhlt werden. Die Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts, wonach Akteneinsicht spätestens nach abgeschlossener Sachverhaltsermittlung gewährt werden muss (BV.2010.47-BV.2010.48), gilt somit lediglich für den Fall, in welchem eine frühere Einsicht aufgrund einer analogen Anwendung von Art. 108 StPO verweigert wurde. Sonst ist Akteneinsicht immer zu einem früheren Zeitpunkt zu gewähren.
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