Ausstand (Art. 29 VStrR)
Mit Beschluss vom 15. April 2019 hiess das Bundesstrafgericht ein Ausstandsgesuch in einem vom EFD geführten Verwaltungsstrafverfahren gut (BV.2012.2; abrufbar unter: https://bstger.weblaw.ch/pdf/20190415_BV_2019_2.pdf). Hintergrund des Ausstandsgesuchs war die rechtshilfeweise Einsicht eines Untersuchungsbeamten des EFD in Akten (interne Untersuchungsberichte einer Anwaltskanzlei mitsamt Beilagen), welche sich bei der FINMA befanden, zeitgleich aber auch in einem verwaltungsstrafrechtlichen Entsiegelungsverfahren standen.
Die Verteidigung wertete dies als einen Ausstand (Art. 29 VStrR) begründende Amtspflichtverletzung wohingegen das EFD vorbrachte, dass sich die gesiegelten Anwaltsberichte gar nicht unter den durchgesehenen FINMA-Akten befunden hätten. Das Bundesstrafgericht hält indes fest, dass (E. 4.2.3):
"von der Siegelung im Verwaltungsstrafverfahren Nr. 442-3-082 des EFD betroffen waren zum Zeitpunkt als F. Einsicht in die Akten bei der FINMA nahm, nebst den Berichten von der Anwaltskanzlei D. auch deren Beilagen (...). Mithin erlangte F. Einsicht in Dokumente, die Gegenstand eines im Rahmen des Verwaltungsstrafverfahrens Nr. 442-3-082 laufenden Entsiegelungsverfahrens waren. Die Auffassung des Beschwerdegegners, wonach Gegenstand der Siegelung einzig die zwei privat verschlüsselten Datenträger gewesen seien und nicht die sich im Besitz der FINMA befindenden physischen Originale und Kopien der Beilagen zu den Berichten von der Anwaltskanzlei, trifft insofern zu, als rein formell und physisch tatsächlich nur die beiden Datenträger versiegelt worden sind. Der Sinn und Zweck der Siegelung ist es jedoch, dass die Ermittlungs- und Untersuchungsbehörden keine Kenntnis vom Inhalt der versiegelten Aufzeichnungen oder Gegenstände erhalten. Dies gilt solange der zuständige Entsiegelungsrichter nicht über die Zulässigkeit deren Durchsuchung entschieden hat (Urteil des Bundesgerichts 1B_241/2008 vom 26. Februar 2009 E. 4.1)."
Und:
"Existieren von versiegelten Dokumenten identische Kopien, die ihrerseits nicht versiegelt sind, versteht es sich von selbst, dass die Behörden, solange über die Entsiegelung noch nicht rechtskräftig entschieden ist, auch keine Kenntnis vom Inhalt der nicht versiegelten Kopien erhalten sollen, ansonsten die Siegelung ihres Sinnes und Zwecks entleert würde."
Aufgrund all dem hält das Bundesstrafgericht unmissverständlich und unter Gutheissung der Beschwerde fest, dass das Verhalten des Untersuchungsbeamten rechtsmissbräuchlich war und er deswegen in den Ausstand zu treten hat (E. 4.2.4):
"Versuchen die Ermittlungs- und Untersuchungsbehörden während eines laufenden Entsiegelungsverfahrens auf andere Weise – wie vorliegend durch rechtshilfeweisen Aktenbeizug – Kenntnis vom Inhalt von wissentlich versiegelten Dokumenten zu erhalten, kommt dies einer Umgehung der Siegelungund eines Aushebelns des im Zusammenhang mit der Sieglung bestehenden Rechtsschutzes gleich. Derartiges Verhalten einer Behörde ist als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren. (...) Die Einsichtnahme des untersuchenden Beamten F. in Dokumente, im Wissen darum, dass deren Inhalt Gegenstand eines Entsiegelungsverfahrens ist, stellt damit ein rechtsmissbräuchliches und gegen Treu und Glauben verstossendes Verhalten dar. Der Anschein der objektiven Befangenheit des untersuchenden Beamten F. ist damit zu bejahen."
Nicht zu entscheiden hatte das Gericht, welche Konsequenzen dieser Ausstand für das hängige Verwaltungsstrafverfahren hat. Art. 29 Abs. 3 VStR verweist für den Ausstand im gerichtlichen Verfahren sowie zum Ausstand von kantonalen Beamten auf das "einschlägige eidgenössische oder kantonale Recht". Letzteres gibt es nicht mehr (vgl. dazu auch Keller, Grundrechtskonformität und Tauglichkeit des Verwaltungsstrafrechts als Prozessgesetz, in: Eicker, Aktuelle Herausforderungen für die Praxis im Verwaltungsstrafverfahren, 2013, S. 168), und vorliegend ist auch weder ein gerichtliches Verfahren noch ein kantonaler Beamter betroffen (sondern ein Mitarbeiter des EFD). Fraglich ist deswegen, ob Art. 60 Abs. 1 StPO (Amtshandlungen, an denen eine zum Ausstand verpflichtete Person mitgewirkt hat, sind aufzuheben und zu wiederholen) analog anzuwenden ist oder ob das VStrR nicht eigene, ggf. strengere, Ausstandsfolgen nach sich zieht (zB Entfernung aus der Akte oder Wiederholung sämtlicher Amtshandlungen).
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