Entschädigung (Art. 99 VStrR)
Die diesem Blogbeitrag zugrundeliegenden Urteile beruhen beide auf der Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens wegen des Verdachts der Widerhandlung gegen das damals anwendbare Spielbankengesetz (vgl. hierzu BGer, 6B_899/2017, E. 2.2 f.; krit. zur Rspr. Droll/Niggli, ContraLegem 2018/2, S. 29 ff.; abrubar unter: https://www.contralegem.ch/2018-2-l-spielbanken-und-geschicklichkeits-und-glueckspiele/#top). Streitpunkt war jeweils die geltend gemachte Entschädigung der kausal auf das Verwaltungsstrafverfahren zurückzuführenden Nachteile oder genauer die damit verbundene Obliegenheit des Schadensnachweises durch die ehemals beschuldigte Person bzw. die sie vertretende Strafverteidigung.
Im ersten zu diskutierenden Fall (BStGer v. 24.06.2021, BV.2020.37, hier abrufbar:http://bstger.weblaw.ch/cache/pub/cache.faces?file=20210303_BV_2020_42.htm&ul=de) wurde im Rahmen einer Gastgewerbekontrolle in einer Bar im Kanton Aargau im April 2018 ein Tischgerät und das darin enthaltene Bargeld in der Höhe von CHF 1'420 durch die regionale Polizei sichergestellt. Der Vorwurf gegen den Barbetreiber lag darin begründet, dass sich auf dem Tischgerät ein rein zufallsabhängiges Glücksspiel (Walzenspiel «T-Rex Island») aktivieren liess. Der Rapport der Regionalpolizei ging erst Mitte Juli 2019 (!) bei der ESBK ein, woraufhin sie das Verwaltungsstrafverfahren formell eröffnete und den Tischautomaten und das darin aufgefundene Bargeld beschlagnahmte. Da die technische Analyse den Verdacht (mangels Qualifikation als Glücksspiel) nicht erhärten konnte, wurde das Verwaltungsstrafverfahren im April 2020 unter Kostenauflage zulasten des Bundes eingestellt. Der anwaltlich vertretene beschuldigte Barbetreiber stellte ein innert Frist angepasstes Entschädigungsbegehren von insgesamt CHF 94'999.45 zzgl. Verzugszins von 5% seit April 2019. Die geltend gemachten Schadensposten setzten sich im Einzelnen wie folgt zusammen:
- Entgangener Gewinn aus dem sichergestellten und später beschlagnahmten Tischautomaten von CHF 85'875 zzgl. Zins (25 Monate * mtl. Nettogewinn von CHF 3'435.-)
- Erwerbsausfall von gesamthaft CHF 200 zzgl. Zins
- Schadensersatz für das Unbrauchbarmachen des zurückgegebenen Tischautomaten von CHF 4'500 zzgl. Zins
Wenig überraschend hat die ESBK das Gesuch weitestgehend abgelehnt und die durch die Einstellung indizierte Entschädigung auf die Reisekosten (CHF 182.70), die belegten Anwaltsaufwendungen (CHF 3'690.55) und den Schadenszins von 5% auf den bereits aus der Beschlagnahme entlassenen Betrag beschränkt. Die dagegen gerichtete Beschwerde vor Bundesstrafgericht war nicht von Erfolg gekrönt, wobei im Weiteren nur die abschlägige Begründung in Bezug auf den geltend gemachten entgangenen Gewinn interessiert.
Grundsätzliches vorweg: Der Staat tritt einer Individualperson im Entschädigungsverfahren in gleichgeordneter Stellung entgegen und es gelangen dem Grundsatz nach die zivilrechtlichen Haftungsregeln (Art. 41 ff. OR) zur Anwendung, weshalb eine Person die durch ein (Verwaltungs-)Strafverfahren einen materiellen oder immateriellen Schaden zu erlitten haben glaubt, diesen geltend zu machen und nachzuweisen hat. Diese zivilrechtliche Grundsätze der Beweislast und der Substantiierungsobliegenheit widerspiegeln sich in Art. 99 f. VStrR. Es handelt sich dabei insofern nicht um Pflichten, sondern um Obliegenheiten, weil deren Befolgung nicht hoheitlich durchgesetzt werden kann und deren Nichtbefolgung andere Rechtsnachteile (namentlich die Verwirkung des Rechtsanspruchs) nach sich ziehen (vgl. näher zum Begriff der Obliegenheit: Gauch/Schluep/Schmid/Emmenegger, OR AT, Band I, 10. Aufl. 2014, Rz. 101 f.). Kommt die ehemals beschuldigte Person ihrer (wenn man so will prozessualen) Obliegenheit nach, ist der Staat indes verpflichtet, die geltend gemachten Positionen von Amtes wegen zu prüfen (vgl. BStGer, 17.04.2012, BK.2011.16, E. 2.3).
Im oben erwähnten Entscheid behandelte das BStGer das Begehren um entgangenen Gewinn unter dem Aspekt von Art. 42 Abs. 2 OR, bei welchem die Höhe des Schadens durch die zuständige Behörde unter Berücksichtigung der allg. Lebenserfahrung geschätzt werden muss. Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass mit der hoheitlichen Schätzung keine Beweislastumkehr einhergeht. Einzig in Bezug auf den Nachweis der Höhe des Schadens und den auf diesen Betrag entfallene Schadenseintritt erfolgt eine Beweiserleichterung. Die Zusprechung einer Entschädigung hängt nicht, wie im Normalfall, davon ab, dass der Schaden und dessen Höhe mittels Belegen als annähernd sicher ausgewiesen wird (sog. «strikter Beweis»). Nach der Rspr. des BGer ist es ist es in einen Anwendungsfall von Art. 42 Abs. 2 OR ausreichend, aber auch erforderlich, dass die geschädigte Person «alle Umstände, die für den Eintritt eines Schadens sprechen und dessen Abschätzung erlauben oder erleichtern, soweit möglich und zumutbar zu behaupten und zu beweisen hat» (vgl. BGE III 271, E. 2b). Einem Gewinnrückgang haftet von Natur aus etwas hypothetisches an, weshalb das Herabsetzen auf das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. zur Abgrenzung gegenüber der blossen Glaubhaftmachung, BGE 130 III 321, E. 3.3) gerechtfertigt erscheint. Einem solchermassen herabgesetzten Beweismassstab wird nicht genügend Rechnung getragen, wenn von Seiten des Barbetreibers eine eigene (Partei-)Behauptung des mtl. Nettogewinnes des Tischautomaten aufgestellt wird – egal wie gut das selbstpostulierte Zahlengedächtnis auch sein mag. Zurecht hat sowohl die ESBK als auch das BStGer auf die fehlende Substantiierung (unter Berücksichtigung des herabgesetzten Beweismasses) hingewiesen, womit gleichsam der Obliegenheit des Schadensnachweises im Sinne eines entgangen Gewinns nicht nachgekommen wurde. Die zuständigen Behörden treffen in einem solchen Fall keine weitergehende Abklärungspflichten.
Etwas anders gelagert ist das zweite zu besprechende Urteil (BStGer v. 23.06.2021, BV.2020.10, abrufbar unter: https://bstger.weblaw.ch/cache/pub/cache.faces?file=20210623_BV_2020_10.htm&ul=de). Auch diesem Urteil liegt eine polizeiliche Kontrolle einer Lokalität im Kanton Aargau zugrunde, anhand derer zwei Spieltischautomaten sichergestellt wurden. Nachdem der Lokalbetreiber gegen den unbegründeten Strafbescheid und die damit verbundene Einziehung im Jahr 2017 Einsprache erhoben hatte, wurde das Verfahren im Juni 2019 eingestellt. Es entbrannte wiederum ein Streit, um die Entschädigung der durch das Verwaltungsstrafverfahren verursachten Nachteile. In concreto wurden folgende Entschädigungen beantragt:
- Entschädigung von des Aufwands des mandatierten Anwalts von insgesamt CHF 5'455.10 inkl. Ausl. und MWST.
- Persönliche Entschädigung des ehemals Beschuldigten von CHF 200.-
Die ESBK kürzte den zu entschädigenden Aufwand und sprach dem Lokalbetreiber eine Anwaltsentschädigung in der Höhe von gesamthaft CHF 3'979.75 (inkl. MWST) zu. Die Kürzung wurde u.a. mit dem nicht näher begründeten Aufwand für rechtliche Abklärungen im Umfang von drei Stunden begründet. Weiter erachtete die ESBK den Aufwand für die Substantiierung des Ersatzbegehrens in Bezug auf die zweite und dritte präzisierende Eingabe als nicht ersatzfähig, da unnötig. Die persönliche Entschädigung von CHF 200 wurde vollständig abgewiesen. Gegen diesen Entscheid erhob der ehemals Beschuldigte Beschwerde vor BStGer, das dem Beschwerdeführer teilweise Recht gab und die Kürzung bezüglich des Aufwandes zur Substantiierung reformatorisch aufhob und dem Lokalbetreiber eine persönliche Reiseentschädigung von CHF 132.80 zusprach.
Im Gegensatz zum zuvor entsprochenen Entscheid gelten im zweiten Fall in beweismässiger Hinsicht erhöhte Anforderungen an die Substantiierung des Schadenseintritts und der Höhe des Schadens. Vor diesem Hintergrund ist die Praxis des Bundesstrafgerichts, wonach für den angemessenen Aufwand der Substantiierung ebenfalls eine Entschädigung auszurichten ist (BStGer, 12.08.2005, BK.2005.11, E. 3.2) nur folgerichtig. Entgegen der Ansicht des BStGer fällt der Umstand, dass der Beschwerdeführer in casu mehrmals durch die ESBK zur Präzisierung aufgefordert wurde, nicht weiter ins Gewicht. Pointiert ausgedrückt spielt das Vertrauensverhältnis insofern keine Rolle, als ohnehin ein Rechtsanspruch besteht. Zur Erfüllung der Substantiierungsobliegenheit reicht es aus, wenn eine Honorarnote mit Arbeitsjournal eingereicht wird. Die Grenze bilden unnötige oder völlig übersetzte Aufwendungen, deren Kürzung nach meinem Dafürhalten zur Wahrung des rechtlichen Gehörs von der ersten Instanz vorgängig angekündigt werden muss (s. dazu Frank/Garland, BSK VStrR, Art. 99 N 32).
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