Entsiegelung, Frist und Geldspielgesetz
Einen bemerkenswerten Entsiegelungsentscheid erliess das Bundesstrafgericht mit Beschluss vom 26.10.2022 (BE.2021.12; hier abrufbar: https://bstger2.weblaw.ch/pdf/20221026_BE_2021_12.pdf). Hier geht es nun nicht um die vom Bundesstrafgericht stets durchgeführten Prüfungsschritte (1. Schritt: Durchsuchung im Grundsatz zulässig, 2. Schritt: Voraussetzungen für eine Entsiegelung erfüllt), sondern um Punkte, welchen offenbar gar keine grosse Beachtung mehr geschenkt wird. Nämlich der zuständigen Entsiegelungsbehörde und der Entsiegelungsantragsfrist.
Der Sachverhalt ist kurz zusammengefasst: Die Kantonspolizei Zürich führt in Räumlichkeiten eine Gastgewerbekontrolle durch. Dabei wurden mehrere Personen beim Pokerspielen angetroffen. Die Kantonspolizei Zürich rapportierte an die ESBK wegen Verdachts der Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz vom 29. September 2017 über Geldspiele (Geldspielgesetz, BGS; SR 935.51), Art. 130 Abs. 1 BGS (act. 1.5). Am 18. Juni 2021 erliess die ESBK einen Hausdurchsuchungssbefehl. Anlässlich der Hausdurchsuchung am 26. Juni 2021 wurden mehrere Datenträger sichergestellt und gesiegelt. Am 3. August 2021 beantragte die ESBK die Entsiegelung.
Ganz unabhängig davon, dass heutzutage niemand mehr behaupten würde, dass es sich bei "Texas Hold'em"-Pokerspielen um blosse Glückspiele (so aber noch - entgegen der Ansicht der ESBK und des Bundesverwaltungsgerichts - das BGer 2C_694/2009 v. 20.05.2010), sondern vielmehr eindeutig um Geschicklichkeitsspiele handelt (welche nicht dem BGS unterfallen; eine Änderung der Rspr. des BGer wird kommen, die Frage ist nur, wann), fällt am hier besprochenen Entscheid vor allem auf, dass Pokerspiele im kleinen Rahmen - und ein solcher lag angesichts der aufgezählten acht Spieler wohl offensichtlich vor - doch viel eher Kleinspiele i.S.v. Art. 3 lit. f BGS darstellen. Kleinspiele sind aber, wie Art. 3 lit. g BGS festlegt, keine Spielbankenspiele. Wenn es sich aber nicht um Spielbankenspiele handelt, dann ist - entgegen E. 1.1 des bundesstrafgerichtlichen Entscheides - nicht die ESBK verfolgende Behörde, sondern vielmehr die kantonale Staatsanwaltschaft (Art. 135 Abs. 1 BGS). Die ESBK ist dann aber gar nicht zuständig, weder für einen Hausdurchsuchungsbefehl, noch für einen Entsiegelungsantrag. Letzterer wäre wohl bereits deswegen abzuweisen gewesen.
Aber noch ein anderer Grund spricht dafür. Denn die ESBK stellte ihren Entsiegelungsantrag erst nach 38 Tagen (26. Juni 2021 - 3. August 2021). Ist ja eigentlich kein Problem, sollte man meinen, denn BGer 1B_672/2012 vom 8. Mai 2013 hielt ja fest, dass es im Verwaltungsstrafverfahren, warum auch immer, keine Entsiegelungsantragsfrist gebe. Nun ist diese Rechtsprechung aber obsolet geworden, denn das Bundesgericht stellt in 1B_432/2021 vom 28. Februar 2022, E. 3.3., eindeutig fest:
"3.3. Der sachgerechte Ablauf würde überdies nahelegen, dass die Frist für das gemäss Art. 248 Abs. 2 StPO innert 20 Tagen zu stellende Entsiegelungsgesuch ab dem Zeitpunkt der Siegelung zu laufen beginnt und dieses nicht wie hier bereits vorher eingereicht wird. Würde für den Beginn der Frist allenfalls alternativ auf den Zeitpunkt des Antrags des Beschwerdeführers um Siegelung abgestellt, wäre die Frist im Übrigen bereits abgelaufen, bevor das Entsiegelungsgesuch gestellt wurde. Würde sie ab dem Maileingang vom 14. September 2020 berechnet, hätte sie am 5. Oktober 2020 geendet; würde vom Eingang des schriftlichen Siegelungsgesuchs bei der Zollverwaltung am 17. September 2020 ausgegangen, wäre der Endtermin der 7. Oktober 2020 gewesen. Die Zollverwaltung stellte das Entsiegelungsgesuch jedoch erst am 8. Oktober 2020."
Analog Art. 248 Abs. 2 StPO gilt damit richtigerweise auch im Verwaltungsstrafverfahren die 20-tägige Entsiegelungsfrist. Denn gerade dieses ist auf eine besonders schnelle Durchführung ausgelegt, wie etwa die nur 3-tägige Beschwerdefrist zeigt.
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