Formelle Rechtsverweigerung im Beschwerdeverfahren nach Art. 27 VStrR
Das Bundesstrafgericht hatte in diesem Fall (BV.2017.23; abrufbar unter: https://bstger.weblaw.ch/pdf/20170718_BV_2017_23.pdf) das Schweigen einer Behörde, genauer gesagt dasjenige der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV), zu bewerten.
A wurde vorgeworfen, sich im Rahmen der Geschäftstätigkeit der B GmbH des Abgabebetrugs i.S.v. Art. 14 Abs. 2 VStrR sowie der Verrechnungssteuerhinterziehung nach Art. 61 lit. a VStG schuldig gemacht zu haben. Im Rahmen des Nachsteuerverfahrens wurde A basierend auf Art. 12 Abs. 2 VStrR zusammen mit der B GmbH solidarisch zur Bezahlung der geschuldeten Steuerbeträge verpflichtet. Diese Verfügung erwuchs in Rechtskraft. Beinahe zwei Jahre später ersuchte A am 4. Januar 2017 um Wiedererwägung dieser Verfügung, da zwischenzeitlich ein neuer Entscheid einer kantonalen Steuerbehörde vorlag. Einen Tag nach Einreichung des Wiedererwägungsgesuchs verlangte er am 5. Januar 2017 zudem die Sistierung des noch hängigen Verwaltungsstrafverfahrens bis zum rechtskräftigen Entscheid der kantonalen Steuerbehörde in Bezug auf seine dort hängigen Beschwerdeverfahren. Das Gesuch um Sistierung wurde allerdings vom zuständigen Bearbeiter bei der ESTV am 31. Januar 2017 abgewiesen. Dieser negative Entscheid hatte zur Folge, dass A am 2. Februar 2017 eine Beschwerde i.S.v. Art. 27 Abs. 1 VStrR beim Direktor der ESTV einreichte. Da von dieser Seite allerdings kein Beschwerdeentscheid erfolgte, gelangte A am 16. März 2017, also rund anderthalb Monate nach Einreichung der Beschwerde, ein zweites Mal an den zuständigen Direktor des ESTV. Schliesslich wandte sich A, nachdem auch einen Monat nach seinem zweiten Schreiben keine Antwort erfolgte, am 13. April 2017 an das Bundesstrafgericht und machte eine formelle Rechtsverweigerung geltend. Diese wurde vom Bundesstrafgericht denn auch bejaht, dies mit folgender Begründung (E. 2 & 2.1, freie Übersetzung aus dem Französischen, Hervorhebung durch die Verfasserin):
"Formelle Rechtsverweigerung i.S.v. Art. 29 Abs. 1 BV liegt vor, wenn eine ersuchte Behörde ohne Grund einen Entscheid hinauszögert. Eine Verwaltungs- oder Gerichtsbehörde verletzt somit diese Norm, wenn sie einen Entscheid nicht fällt, den sie entweder innert einer gesetzlichen Frist oder aber innert einer Frist, die aufgrund der Art und Bedeutung des Falles oder aufgrund anderer Umstände als angemessen erscheint, hätte fällen müssen (BGE 119 Ib 311 E. 5b; 117 Ia 193 E.. 1c).
In casu ist in Anbetracht der Gesamtheit der konkreten Umstände keine Rechtfertigung für eine solche Verzögerung in der Bearbeitung der Beschwerde seitens der ESTV ersichtlich. Das Sistierungsgesuch enthielt denn auch keinerlei spezielle Schwierigkeiten. Die ESTV machte in ihrer Stellungnahme [zur Beschwerde vor Bundesstrafgericht] lediglich geltend, dass die Behandlung der Beschwerde nach Art. 27 VStrR keiner Frist unterliege, was vorliegend aber unbeachtlich bleiben kann. Der Direktor der ESTV hat somit mit seinem Schweigen eine formelle Rechtsverweigerung begangen."
Man könnte sich fragen, ob es sich vorliegend um eine formelle Rechtsverweigerung oder "nur" - wofür der Hinweis der ESTV auf die fehlende Frist in Art. 27 VStrR sprechen könnte - um eine Rechtsverzögerung handelt. In jedem Fall sieht das Bundesstrafgericht eine neunwöchige Untätigkeit (Beschwerde eingelegt am 2. Februar, Nichtentscheid bis zum 13. April) bei einmaligem Nachfragen als Rechtsverweigerung an. Und das ist gut so. Denn der Entscheid stärkt damit zumindest mittelbar auch das im Verwaltungsstrafverfahren herrschende Beschleunigungsgebot. Es geht nicht an, dass der Betroffene innert drei (3) Tagen Beschwerde führen muss (insbesondere in der komplexen Materie des Verwaltungsstrafrechts), die Verwaltung dann aber beliebig lange mit ihrem Entscheid zuwarten kann - auch wenn ihr Art. 27 VStrR zugegebenermassen keine Frist setzt. Man kann sich nun weiter fragen, was dies - scheinbar ein ganz anderes Thema - für die Entsiegelungsgesuchsfrist im Verwaltungsstrafverfahren bedeutet. Sowohl das Bundesstrafgericht als auch das Bundesgericht wollen das Entsiegelungsgesuch nämlich explizit an keine Frist binden (und deswegen eine analoge Anwendung von Art. 248 Abs. 2 StPO verneinen), da das VStrR hier anders als die StPO eben keine Frist vorsehe. Dies führt aber dazu, dass Entsiegelungsgesuche im Verwaltungsstrafverfahren auch mehr als 4 Monate nach Siegelung gestellt werden können (Art. 248 Abs. 2 StPO sieht demgegenüber eine zwanzigtägige Frist vor). Wenn man das Beschleunigungsgebot im Verwaltungsstrafverfahren aber ernst nimmt - und das tut das Bundesstrafgericht mit dem hier besprochenen Entscheid offensichtlich - so müssten auch Entsiegelungsgesuche an eine Frist gebunden werden. Nämlich an die von Art. 248 Abs. 2 StPO.
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