Siegelung (2/2023) - Praxisänderung
Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hatte sich im vorliegenden Entscheid vom 9. November 2023 mit einem Entsiegelungsgesuch der Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV zu befassen (BE.2023.15, BP.2023.60; hier abrufbar:https://bstger2.weblaw.ch/cache?guiLanguage=de&id=599309a8-39bb-4a68-90ec-f845452199f5&sort-field=relevance&sort-direction=relevance), wobei es - ganz nebenbei - eine Praxisänderung vornahm.
Die ESTV führte sowohl gegen die Unternehmung A als auch den Geschäftsführer C und den Verwaltungsratspräsidenten D ein Verfahren wegen diverser steuerrechtlicher Delikte. Im Rahmen dieses Verfahrens fand bei der Unternehmung A eine Hausdurchsuchung statt, wo mutmasslich C (genau weiss man es nicht, da die teilnehmenden Personen auf dem Hausdurchsuchungsprotokoll nicht aufgeführt worden waren) im Namen der Unternehmung A die Siegelung verlangte – wobei im Verwaltungsstrafrecht nicht von einer Siegelung, sondern von einer Einsprache gegen die Durchsuchung i.S.v. Art. 50 Abs. 3 VStrR gesprochen wird. Die ESTV stellte danach innert 13 Tagen (BGer 1B_432/2021 v. 28. Februar 2022, E. 3.3 zeigt hinsichtlich der 2o-tägigen Entsiegelungsfrist offenbar Wirkung, auch wenn das BStrGer dies anders sieht, vgl. E. 1.4 des vorliegenden Entscheides) ein Entsiegelungsgesuch an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts, welche darauf die Unternehmung A zu einer Gesuchsantwort aufforderte. A liess sich jedoch nicht verlauten.
Das Bundesstrafgericht führt zunächst - mit Verweis auf das Praxishandbuch von Damian Graf - wie selbstverständlich aus, dass im Entsiegelungsverfahren sowohl eine spezielle prozessuale Substantiierungsobliegenheit hinsichtlich der geltend gemachten Geheimnisinteressen als auch eine allgemeine Rügepflicht bezüglich der allgemeinen Voraussetzungen der Siegelung gelte - Letzteres entspricht nach unserem Dafürhalten eindeutig nicht der über Jahre konsequent durchgehaltenen Zwei-Stufen-Prüfung (1. Ist die Durchsuchung im Grundsatz zulässig? Und 2. Sind die Voraussetzungen einer Entsiegelung erfüllt?), welche das BStrGer bis anhin handhabte (vgl. etwa, um nur einige zu nennen: BE.2016.3, BE.2017.2 oder BE.2020.12). Das stellt sich als wichtige (und nicht begründete) Praxisänderung dar, welche von Seiten der Entsiegelungsbetroffenen unbedingt beachtet werden muss.
In Hinblick auf die Substantiierungsobliegenheit hielt das Gericht sodann fest, dass das Durchsuchungsprotokoll der ESTV insfoern nicht ganz zweckdienlich sei, da dort nicht die Möglichkeit besteht, konkrete Geheimnisinteressen anzuführen (diese Möglichkeit besteht wohl auch bei strafprozessualen Siegelungsanträgen auf dem entsprechenden Formular grossmehrheitlich nicht). Eine solche Prüfung habe demnach im Entsiegelungsverfahren zu erfolgen. Da sich die Gesuchsgegnerin A im Laufe des Verfahrens nie habe vernehmen lassen - das Bundesstrafgericht lud die A sowohl über die Adresse der Hausdurchsuchung als auch über ihr Domizil zur Gesuchsantwort ein - und somit keine Geheimnisschutzinteresse geltend gemacht hat, wurde gemäss Bundesstrafgericht die Einsprache (sprich das Siegelungsbegehren) offensichtlich unbegründet bzw. rechtsmissbräuchlich erhoben. Daher entschied das Gericht richtigerweise mangels gültig erfolgtem Siegelungsbegehren nicht auf das Entsiegelungsgesuch der ESTV einzutreten.
Teilen:
Beitrag kommentieren
Ihr Kommentar wird nach einer Prüfung freigeschaltet.