Verletzung des rechtlichen Gehörs
Mit Beschluss vom 12. Mai 2022 (BV.2022.3, BV.2022.4; abrufbar hier: https://bstger.weblaw.ch/files/20220512_BV_2022_3.pdf) entschied die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts über zwei Beschwerden gegen eine Beschlagnahme, welche das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) vorgenommen hatte. Das Bundesstrafgericht hiess die Beschwerden - eine erfreuliche Seltenheit im Bereich der Beschlagnahme - gut.
Aber der Reihe nach:
Im Rahmen einer wegen des Verdachts eines Verstosses gegen das Zoll- und das Mehrwertsteuergesetz durchgeführten Hausdurchsuchung bei der A. GmbH, beschlagnahmte das BAZG am 12. Januar 2022 Barmittel in Höhe von EUR 10'000.-- als Beweismittel. Die Gelder befanden sich im Dachgeschoss der durchsuchten Liegenschaft, in welcher einerseits die A. GmbH ihren Sitz hat, andererseits deren Mitarbeiterin, die B., wohnt. Die A. GmbH und B. führten gegen diese Beschlagnahme beide mit separaten Schreiben am 14. Januar 2022 (Laien-)Beschwerde. Dabei bringen beide Beschwerdeführerinnen vor, dass das beschlagnahmte Bargeld der B. gehört. Allerdings ist dies aufgrund des sonst festgestellten Sachverhalts nicht klar, weswegen es auch sein könnte, dass das Geld im Eigentum der A. GmbH steht. Die Beschwerdekammer entledigt sich dieses für die Zulässigkeit der Beschwerden relevanten Punktes auf erfreulich pragmatischem Wege (was auch deswegen ging, weil keine Anwaltskosten zu entschädigen waren):
"Das oben Dargelegte legt den Schluss nahe, dass die Eigentümerin des im Dachgeschoss sichergestellten Bargeldes die Beschwerdeführerin 1 [das ist die A. GmbH] sein könnte. Da das Bargeld einer der Beschwerdeführerinnen gehört und eine von beiden Beschwerdeführerinnen beschwerdebefugt ist, kann auf die abschliessende Klärung der Eigentumsverhältnisse verzichtet werden. Im vorliegenden Fall rechtfertigt es sich, ausnahmsweise beide Beschwerden materiell zu prüfen." (E. 3.2.7)
Auch in materieller Hinsicht macht das Gericht kurzen Prozess, denn "die Beschlagnahmeverfügung" weist nicht einmal die relevantesten Voraussetzungen auf, es fehlt an einer Umschreibung eines Sachverhalts, einer Begründung sowie ohne Angabe von irgendwelchen Gesetzesbestimmungen. Damit wird der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, eine Begründungspflicht für Bundesverwaltungsbehörden ergibt sich zwar nicht aus dem VStrR, wohl aber aus At. 35 Abs. 1 VwVG und Art. 29 Abs. 2 BV. Im Entscheid liest sich das wie folgt (E. 4.4.1):
"Die angefochtene Beschlagnahmeverfügung vom 12. Januar 2022 bildet keine eigenständige Verfügung, sondern ist im Protokoll über die Beschlagnahme integriert. Darin werden die Objekte aufgelistet, die der Beschwerdegegner gestützt auf Art. 46 und 47 VStrR als Beweismittel beschlagnahmt hat. Eine Begründung oder allenfalls ein Hinweis auf vorgängige Verfügungen, die den Betroffenen eröffnet wurden, sind der Beschlagnahmeverfügung bzw. dem Beschlagnahmeprotokoll nicht zu entnehmen. Die Verfügung der Beschlagnahme erfolgte somit ohne Umschreibung eines Sachverhaltes und ohne Angabe der damit verbundenen bzw. einschlägigen Gesetzesbestimmungen und Straftatbestände (BV.2022.3 und BV.2022.4, je act. 2.4)."
Zwar könne der Sachverhalt den Durchsuchungsbefehlen des BAZG entnommen werden, aber es "lässt sich selbst gestützt auf die Ausführungen in den Durchsuchungsbefehlen vom 5. Januar 2022 nicht feststellen, in Bezug auf welche Straftatbestände der Beschwerdegegner das Verfahren führt. Der Beschwerdegegner begnügt sich – wie im Übrigen auch im Eröffnungsbeschluss vom 4. Januar 2022 – lediglich mit dem Hinweis, dass der Verdacht bestehe, C. (und evtl. weiter derzeit unbekannte Personen) hätten eine Widerhandlung gegen das Zollgesetz und das Mehrwertsteuergesetz begangen (BV.2022.3 und BV.2022.4, je act. 2.1-2.3). Damit können die Beschwerdeführerinnen nicht beurteilen, welche konkrete Straftatbestände den Beschuldigten vorgeworfen werden, ob der angegebene Sachverhalt einen subsumierbaren und hinreichenden Tatverdacht begründet und, ob die Verhältnismassigkeit gewahrt ist. Den betroffenen Parteien muss eröffnet werden, gegen welche gesetzlichen Gebote oder Verbote die vorgeworfenen Sachverhalte verstossen sollen. Der pauschale Verweis auf das (gesamte) Zoll- und/oder Mehrwertsteuergesetz kommt dieser Anforderung nicht nach. Ohne rechtliche Eingrenzung lässt sich nicht beurteilen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Beschlagnahme vorliegen. Dies stellt im Lichte der obgenannten Rechtsprechung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Folglich kann auch das Gericht nicht beurteilen, in Bezug auf welche Tatbestände ein hinreichender Verdacht gegeben sein soll. Es ist nicht die Aufgabe der Beschwerdeinstanz, diese erstmals im Beschwerdeverfahren (allenfalls hypothetisch) zu bestimmen und den Beschwerdeführerinnen zu eröffnen. Der Beschwerdegegner hat auch in den Eingaben im Rahmen des vorliegenden Verfahrens die (mutmasslich) verletzten Bestimmungen nicht konkret bezeichnet. Somit fällt auch eine allfällige Heilung der Gehörsverletzung im Beschwerdeverfahren ausser Betracht. In Ermangelung konkreter Strafbestimmungen ist weder die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts noch die Prüfung der Verhältnismässigkeit der Beschlagnahme möglich (Art. 45 Abs. 1 VStrR; vgl. Art. 197 Abs. 1 lit. c-d StPO). Damit liegt eine Gehörsverletzung vor." (E. 4.4.3).
Die Deutlichkeit des Entscheides tut gut und kommt zum richtigen Zeitpunkt. Zumindest gefühlt genügen die Begründungsanforderungen in Beschlagnahmeverfügungen nämlich oftmals nicht diesen Grundanforderungen. Im konkreten Fall führte dies dazu, dass die EUR 10'000.-- herauszugeben waren (übrigens an die A. GmbH).
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