Wichtiger Siegelungsentscheid (Art. 50 VStrR)
Mit Beschluss vom 21. Oktober 2025 erging ein wichtiger Siegelungsentscheid der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts in einem geldspielstrafrechtlichen Verfahren (BE.2024.22; hier abrufbar:https://bstger.weblaw.ch/api/getDocumentContent/ed47eba4-12d1-3474-a775-93ca669e3320).
Dem lag folgender - stark zusammengefasster - Sachverhalt zugrunde: Die ESBK stellte Ende Oktober 2024 einen mit Zugangscode versehenen Datenträger sicher, wobei die Betroffene (= Gesuchsgegnerin) umgehend einen Siegelungsantrag stellte. Die ESBK stellte bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts daraufhin ein Gesuch, wonach das Sekretariat der ESBK zu beauftragen sei, die Asservate an das fedpol weiterzuleiten und das fedpol wiederum unverzüglich zu beauftragen sei, forensische Sicherungskopien zu erstellen. Die Beschwerdekammer entsprach dem Gesuch am Folgetag. Das fedpol erhielt den Datenträger von der ESBK indes erst im Dezember, mithin über 30 Tage nach der Sicherstellung resp. Anordnung. In der Zwischenzeit wurde der Datenträger von der ESBK in einem jederzeit öffenbaren Briefumschlag eingelegt, welcher nicht plombiert oder mit einem anderweitigen Siegel versehen war.
Die Gesuchsgegnerin beantragte, das Entsiegelungsgesuch der ESBK abzuweisen und rügte, dass elektronischen Geräte unverzüglich zu siegeln seien, wenn ein entsprechender Siegelungsantrag gestellt wird. Hierfür reicht es nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung indes nicht aus, wenn die Siegelung eines Gegenstands mittels eines wiederverschliessbaren Plastikbeutels ohne zusätzliche Siegelungsmassnahmen, wie z.B. das Anbringen einer Plombierung (vgl. BGE 127 II 151 E. 4c/aa), erfolgt. Denn so ist nicht abschliessend gewährleistet, dass nicht unbemerkt von seinem Inhalt Kenntnis genommen wird (BGer 1B_412/2021 vom 29. November 2021 E. 3.3.3). Allerdings ist dieser Umstand nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann nicht zu hoch zu bewerten, wenn die gespeicherten Daten noch durch einen Zugangscode geschützt sind, wecher nur mit grossem technischem Aufwand, den erforderlichen Gerätschaften und dem entsprechenden Fachwissen zugänglich gemacht werden kann (BGer 1B_412/2021 vom 29. November 2021 E. 3.3.3). In einem neueren Entscheid erachtete das Bundesgericht eine Zeitspanne von zwölf Stunden als zu kurz, um ohne einen Zugangscode auf den Inhalt eines Mobilteletons zugreifen zu können (BGer 7B_168/2023 vom 18. April 2024 E. 2.4). Da im konkreten Fall mehr als diese 12 Stunden vergangenen waren - nämlich mehr als dreissig Tage - ist das Entsiegelungsgesuch aus Sicht der Gesuchsgegnerin abzuweisen.
Das Bundesstrafgericht folgte dem im Ergebnis und wies das Entsiegelungsgesuch der ESBK ab. Dabei setzt sich die Beschwerdekammer dezidiert mit der vorgängig erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung auseinander und hält zudem fest, dass "die Strafverfolgungsbehörden die sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenstände in einer Art und Weise zu verpacken haben, die den Zugriff auf diese Aufzeichnungen ohne Brechen des Siegels verunmöglicht (Urteil des Bundesgerichts 7B_515/2024 vom 3. April 2025 E. 2.2.2, zur Publikation vorgesehen; Urteil des Bundesgerichts 7B_127/2022 vom 5. April 2024 E. 3.3)." (E. 4.4) Eben dies haben die Zwangsmassnahmegerichte nach Ansicht der Beschwerdekammer im Entsiegelungsverfahren auch zu prüfen, ist es doch "Zweck der Siegelung [...] mit Blick auf die entsprechenden Grund- und Verfahrensrechte des Beschuldigten, jegliche Gelegenheit für die Untersuchungsbehörde zur Kenntnisnahme der sichergestellten Daten auszuschliessen, bevor ein Gericht über die Zulässigkeit des Zugangs zu diesen Daten entscheidet (BGE148 IV 221 E. 2.5)." (E. 4.4).
Zusammenfassend hält die Beschwerdekammer dann fest (E. 4.9):
"Das Vorgehen der ESBK bot vorliegend keine Gewähr, dass der Zugriff auf die Daten des Mobiltelefons ohne Brechen des Siegels verunmöglicht war. Entsprechend kann nicht, wie dies die bundesgerichtliche Rechtsprechung schon forderte, jegliche Gelegenheit ausgeschlossen werden, dass die ESBK Kenntnis von den sichergestellten Daten erlangte. Dies wird noch dadurch akzentuiert, dass sich das sichergestellte Mobiltelefon aus nicht nachvollziehbaren Gründen während über 30 Tagen in diesem Zustand bei der ESBK befand. Diese Verfahrensmängel wiegen insgesamt schwer. Demgegenüber handelt es sich beim Straftatbestand von Art. 130 Abs. 1 BGS um ein Vergehen, da er mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht ist. Verbrechen sind demgegenüber rechtswidrige Taten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind (Art. 10 Abs. 2 StGB). Eine besondere Schwere der Tat ist vorliegend nicht ersichtlich. Angesichts der schweren Verfahrensmängel führt dies dazu, dass das Entsiegelungsbegehren der ESBK hinsichtlich des Mobiltelefons der Gesuchsgegnerin (Asservat U62402) abzuweisen ist."
Fazit: Werden mit Zugangscode geschützte Datenträger ohne Siegelung über einen gewissen Zeitraum (ausreichend sind offenbar bereits mehr als 12 Stunden) in den Räumlichkeiten der Untersuchungsbehörde aufbewahrt, so bestehen Verfahrensmängel, welche ein Verwertungsverbot zur Folge haben können. Erst recht gilt dies, wenn die Datenträger keinen Zugangscode aufweisen (dann sind durchaus weniger als 12 Stunden für ein Verwertungsverbot ausreichend).
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