Zwangsmassnahmen (Art. 46 VStrR, Art. 48 f. VStrR)
Mit 1B_243/2016 vom 6. Oktober 2016 ergeht ein weiterer Entscheid des Bundesgerichts, welcher sich mit Zwangsmassnahmen im Verwaltungsstrafverfahren befasst, dieses Mal mit der Beschlagnahme sowie der Hausdurchsuchung.
http://www.polyreg.ch/bgeunpub/Jahr_2016/Entscheide_1B_2016/1B.243__2016.html
Die Eidgenössische Steuerverwaltung beschlagnahmte in einem Fiskalstrafverfahren (Vorwurf der Mehrwertsteuerhinterziehung gemäss Art. 96 f. MWSTG, evtl. des Abgabebetruges gem. Art. 14 VStrR) im Rahmen einer Hausdurchsuchung unter anderem elektronische Datenträger und versiegelte diese, da der Inhaber derselben nicht anwesend war.
Unter Bezugnahme auf BGer 1B_91/2016 (dieser Entscheid vom 4. August 2016 wurde bereits im Blog dargestellt) stellte das Bundesgericht zunächst fest, dass Bestimmungen der Strafprozessordnung grundsätzlich analog anwendbar seien, wenn das Verwaltungsstrafrecht einzelne strafprozessuale Fragen nicht abschliessend regle (3.1.).
Dem ist zugungsten des Betroffenen ja vollumfänglich zuzustimmen – allerdings will das Bundesgericht eine analoge Anwendung auch zum Nachteil des Beschuldigten eingreifen lassen:
„Obwohl Art. 50 VStrR nur die Durchsuchung von Papieren ausdrücklich nennt, ist in analoger Anwendung von Art. 248 Abs. 1 StPO auch im Verwaltungsstrafverfahren die Sicherstellung anderer beweisgeeigneter Unterlagen wie Datenträger und sonstiger Informatikmittel sowie Gegenstände zulässig. Dafür spricht schon Art. 48 Abs. 1 VStrR, worin ausdrücklich festgehalten ist, dass Räume durchsucht werden können, wenn es wahrscheinlich ist, dass sich darin Gegenstände oder Vermögenswerte befinden, die der Beschlagnahme unterliegen.“ (3.4.)
Auch wenn die Beschlagnahme elektronischer Datenträger wohl direkt von Art. 50 VStrR gedeckt ist, verwundert doch, dass das Bundesgericht für die analoge Anwendung von Art. 248 StPO überhaupt nicht prüft, ob es sich vorliegend um eine echte Regelungslücke handelt. Dies könnte bspw. unter dem Gesichtspunkt durchaus diskussionswürdig sein, als dass geheime Überwachungsmassnahmen im Verwaltungsstrafverfahren (insbesondere zum Bedauern von ESTV und Swissmedic) nicht zulässig sind (vgl. dazu Eicker/Frank/Achermann, Verwaltungsstrafrecht und Verwaltungsstrafverfahrensrecht, S. 191f.).
Aber dabei bleibt es nicht. Denn weiter stellt das Bundesgericht in 3.5. fest, dass bei „der Versiegelung, der Entsiegelung und der allenfalls daran anschliessenden Beschlagnahme (vgl. zum Ablauf das Urteil des Bundesgerichts 1B_65/2014 vom 22. August 2014) als dem eigentlichen Verwaltungsstrafprozess vorgeschalteten Verfahrensschritten sind nicht dieselben strikten strafprozessualen Grundsätze zu wahren wie im Verwaltungsstrafverfahren selbst. Insbesondere gelten nicht die gleichen Anforderungen an das erforderliche Beweismass und an die rechtliche Beurteilung der zur Diskussion stehenden Handlungen.“ Zum Glück bleiben diese doch verwirrenden Ausführungen (inwiefern die Beweismittelbeschlagnahme dem Verwaltungsstrafprozess vorgeschaltet sein soll, ist auch mit viel gutem Willen nicht erkennbar und um eine sog. zollrechtliche Beschlagnahme nach Art. 83 ZollG handelte es sich offensichtlich nicht) zunächst ohne Auswirkungen, verlangt das Gericht doch gleichwohl einen mindestens hinreichenden Tatverdacht für Zwangsmassnahmen (3.5. und 3.6.). Durchaus merkwürdig ist aber, dass die ebenfalls gerügte Frage der Verjährung der Fiskaldelikte nach Ansicht des Bundesgerichts offengelassen werden kann und „gegebenenfalls im eigentlichen Verwaltungsstrafverfahren zu beantworten“ (6.4.) sei. Das kann nicht sein. Sollten die vorgeworfenen Taten verjährt sein, so besteht ein Verfahrenshindernis und eine (vom Bundesgericht sog. „vorübergehende“) Beschlagnahme ist umgehend aufzuheben.
Den sonstigen Ausführungen des Gerichts ist im Übrigen zuzustimmen. Für den Inhalt eines Hausdurchsuchungsbefehls im Verwaltungsstrafverfahren ist richtigerweise auf die Vorgaben des Art. 241 StPO (iVm Art. 80 StPO) zurückzugreifen. Es braucht also zumindest summarische Ausführungen zum vorgeworfenen Sachverhalt und der den Tatverdacht begründenden Faktenlage (zu alldem 4.4.1. bis 4.4.3.).
Zu all dem wird auch auf die Urteilsanmerkung in der ForumPoenale 3/2017 (im Erscheinen) verwiesen.
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