Die Verjährung im Verwaltungsstrafrecht: Besprechung des Bundesgerichtsentscheids 6B_207/2017 von Macaluso/Garbarski (AJP 1/2018, S. 117-122)
In der aktuellen AJP 1/2018 besprechen Alain Macaluso und Andrew Garbarski den Bundesgerichtsentscheid 6B_207/2017 zur verjährungsunterbrechenden Wirkung von Strafverfügungen im Verwaltungsstrafrecht (dazu bereits hier im Blog https://verwaltungsstrafrecht.ch/de/kategorien/materielles-recht/verjahrung). Diese Wirkung hat die Strafverfügung aus Sicht des Bundesgerichts, da ihr, anders als dem Strafbefehl nach StPO, Urteilscharakter zukomme. Konsequenz dieser Sichtweise ist, dass die Verjährung bereits durch den Erlass der Strafverfügung einer Verwaltungsbehörde unterbrochen wird und nicht erst durch den Entscheid des erstinstanzlichen Gerichts.
Die Autoren kritisieren zu Recht diese Sichtweise des Bundesgerichts und führen zunächst aus, dass in der Praxis häufig sowieso keine allzu grossen inhaltlichen und qualitativen Unterschiede zwischen Strafbescheid und Strafverfügung bestehen, anders als dies das Bundesgericht in seiner Argumentation vorbringt. Weitaus gewichtiger ist dann allerdings das Argument der Autoren, dass die Konzeption des Bundesgerichts zu einer doppelten dogmatischen Inkonsistenz (traitment à double géométrie variable) führt. Denn einerseits wird dadurch die Verjährung im Verwaltungsstrafrecht je nachdem, ob vor dem Entscheid des erstinstanzlichen Gerichts eine Strafverfügung ausgesprochen wurde oder (wie im Falle von Art. 71 VstR) nicht, zu einem ungleichen Zeitpunkt unterbrochen. Anderseits wird durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung die Strafverfügung im Verwaltungsstrafverfahren gänzlich anders behandelt als der Strafbefehl im Strafverfahren, wobei nicht ersichtlich ist, worin sich diese denn gross unterscheiden. Insbesondere ist auch die Einsprache in beiden Verfahren als Rechtsbehelf und nicht als Rechtsmittel ausgestaltet. Zu guter Letzt werfen die Autoren auch die berechtigte Frage auf, ob eine solche Gleichsetzung einer Strafverfügung mit einem Urteil einer gerichtlichen Behörde nicht internationale und verfassungsrechtliche Garantien verletzt. Denn dass eine Administrativbehörde, welche bereits den Strafbescheid ausgefällt hat und danach in gleicher Sache eine Strafverfügung erlässt, nicht wirklich einem „unabhängigen und unparteiischen“ (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) Gericht entspricht, liegt auf der Hand.
Ergänzend sei noch angemerkt: Wollte man der Strafverfügung einer Administrativbehörde Urteilscharakter zukommen lassen, müsste man die Einsprache im Verwaltungsstrafverfahren demnach konsequenterweise als Rechtsmittel gegen einen solchen Entscheid ausgestalten, was sich dann wiederum auf den Instanzenzug im Verwaltungsstrafverfahren auswirken würde (dreifacher statt doppelter Instanzenzug). Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre das dogmatische Chaos perfekt.
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