Selbständige Einziehung
Selbständige Einziehung und kein Ende - die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts erliess am 31. August 2022 (BV.2021.56; hier abrufbar: https://bstger2.weblaw.ch/pdf/20220831_BV_2021_56.pdf) einen Beschluss, der einfach nicht überzeugt.
In aller Kürze der stark zusammengefasste Sachverhalt: Die EZV stellte im November 2020 an einem Grenzübergang Bargeld sicher, welches drogenkontaminiert war. Der "Fall" wurde der kantonal zuständigen Strafverfolgungsbehörde mitgeteilt, welche indes "auf die Fallübernahme verzichtete" (d.h., sie wollte offenbar einfach, wohl mangels Tatverdacht, kein eigenes Verfahren eröffnen). Knapp ein Jahr später - es geht fast immer so lange (vgl. dazu auch einen interessanten Artikel in der Republik: https://www.republik.ch/2021/09/23/geld-her sowie hier im Blog: https://verwaltungsstrafrecht.ch/de/kategorien/verfahrensrecht/rechtsverweigerungsbeschwerde-art-26-ff-vstrr) - eröffnete das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG, so heisst die EZV seit Januar 2022) im Dezember 2021 ein selbstständiges Einziehungsverfahren (Art. 104 Abs. 4 ZG i.V.m. Art. 66 VStrR) und beschlagnahmte die Barmittel. Gegen diese Beschlagnahme führte der Betroffene Beschwerde, welche zum vorliegenden Beschwerdeentscheid führte. Dies mit dem Argument, dass es gar keine Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme gibt.
Um es kurz zu machen: Es gibt - ein Fehler des Gesetzgebers, der nie korrigiert wurde - tatsächlich keine Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme im selbständigen Einziehungsverfahren nach Art. 66 VStrR (anders als in jenem nach Art. 376 ff. StPO, wo der Gesetzgeber die Problematik offenbar erkannte). Das ändere aber nichts daran, dass das Bundesstrafgericht die Beschwerde in diesem Punkt gleichwohl abwies. Dafür musste sie irgendwie begründen, dass Art. 46 VStrR im selbständigen Einziehungsverfahren Anwendung findet - dies tat sie mit folgenden Hauptargumenten:
- Ziff. 3.4.2: "Art. 128 Abs. 1 ZG erklärt, dass Widerhandlungen gegen das Zollgesetz unter anderem nach dem VStrR verfolgt und beurteilt werden. Gestützt auf diesen Verweis ist der Beschwerdegegner [das BAZG], bei Widerhandlungen gegen das Zollgesetz Beschlagnahmeverfügungen i.S.v. Art. 46 f. VStrR zu erlassen." Letzteres stimmt, hat für das konkrete Verfahren aber keinerlei Bedeutung. Denn es gibt ja gar kein Zollstrafverfahren - und wenn es dieses gäbe, so müsste es eine akzessorische Einziehung geben, keine selbständige nach Art. 66 VStrR. Das Argument des Gerichts überzeugt also nicht.
- Ziff. 3.4.3: "Für die Anwendbarkeit von Art. 46 f. VStrR im selbstständigen Einziehungsverfahren (...) spricht eine weitere Überlegung. Ist der Beschwerdegegner [das BAZG] gestützt auf Art. 104 Abs. 1 und Abs. 4 ZG berechtigt, die Vermögenswerte und Gegenstände vorläufig sicherzustellen und diese einzuziehen, ist nicht zu erkennen, weshalb der Beschwerdegegner diese nicht auch im Sinne einer provisorischen Massnahme beschlagnahmen könnte." Das ist nun wirklich harter Tobak. Es ist nämlich sehr einfach zu erkennen, dass es schlicht keine gesetzliche Grundlage für diese Beschlagnahme gibt. Würde man argumentieren wie das Gericht, so wäre auch folgender Schluss möglich: Sind die Strafverfolgungsbehörden gestützt auf Art. 215 StPO zur Anhaltung befugt und sieht die einschlägige Strafnorm eine Gefängnisstrafe vor, so ist nicht zu erkennen, warum die beschuldigte Person nicht verhaftet werden kann - es bräuchte die Art. 220 ff. StPO dann einfach nicht mehr.
Im Endeffekt wurde die Beschwerde aus anderen Gründen gutgeheissen (Verletzung rechtliches Gehör), was - leider! - den Weg ans Bundesgericht verbaute. Es bleibt zu hoffen, dass dieser in ähnlich gelagerten Verfahren aber noch eingeschlagen wird. Denn es darf keine Zwangsmassnahmen ohne rechtliche Grundlage geben!
Eine ausführliche Besprechung des Entscheides von Markwalder/Frank erscheint in der forumpoenale 2/2023.
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